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Droht ein Kahlschlag der Geisteswissenschaften an den Unis?

Michael Hirsch
Philosoph und Politikwissenschaftler, freier Autor und Dozent
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Michael HirschSonntag, 13.06.2021

Im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt sorgte ein Plan des Rektorats der Martin-Luther-Universität Halle für Aufsehen, einige kleinere Studienfächer zu reduzieren bzw. abzuschaffen. Nach einem vom Feuilleton der FAZ lancierten Protest wurden die Pläne vorläufig gestoppt. Dabei ist verwunderlich, dass sich in der bürgerlichen Qualitätspresse die konservative Seite offensichtlich mehr als die linksliberale und linke um die Wissenschaftsfreiheit sorgt.

Entsprechende Pläne zum teils drastischen Abbau von kleineren geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern, um die staatlichen Budgetkürzungen infolge der Pandemie zu finanzieren, liegen überall in den Schubladen. Insgeheim liegt hier ein großflächiger Angriff auf die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in der Luft.

Die FAZ hat dazu einen lesenswerten Beitrag einer Studentin publiziert. Hier wird aus eigener Erfahrung sehr anschaulich über die potentiell bedrohlichen Auswirkungen zukünftiger Kürzungen berichtet. Das seit den 1990er-Jahren propagierte Leitbild der unternehmerischen Universität entfaltet im heutigen Kontext seine ganze Wucht. Die Sparzwänge werden dabei durch alle möglichen Technologien der Evaluierung, Kontrolle und Kosten-Nutzen-Rechnung scheinbar evident gemacht. Damit aber wird die emphatische Logik der Bildung, eigentliche Grundlage öffentlich finanzierter Universitäten, letztlich zerstört.

Gerade die kleinen Studienfächer haben großes Potential, Studenten einen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu ermöglichen: Hier können sie tote und lebendige Sprachen wie Sanskrit und Arabisch lernen, die sonst kaum ein Institut unterrichtet, ihrem VWL-Studium mit einem Nebenfach in einer Ostasienwissenschaft ein klareres Profil für den späteren Berufseinstieg geben oder gar praktische Kenntnisse in der Gebärdensprache erwerben. Solche Angebote werden von kleinen Fächern oft bereitgestellt und von zahlreichen Studenten genutzt, die teilweise aus ganz anderen Fachbereichen kommen.

Gerade diese indirekte Funktion ist bedeutend für die Logik von Studium und Lehre. Lässt man sie außer Betracht, gibt es kein Halten mehr für die Logik des Sparzwangs, die Schere im Kopf der Universitätsverwaltungen. Besonders bedenklich hierbei ist, dass die Warnungen vor der Verwüstung der deutschen Universität bisher primär von Studierenden vorgebracht werden – und nicht von den Lehrenden selbst. Das ist ein fataler Fehler. So war es zum Beispiel an der Universität Siegen, wo ich lehre, einzig die studentische Vertreterin, die bei der Seminarratssitzung der Sozialwissenschaften am 19. Mai davor warnte, die Auslastung von Seminaren im Sinne sowohl der Anzahl der Teilnehmerinnen als auch der Anzahl derer, die einen Schein machen, zum alleinigen Kriterium für die Feststellung des Lehrbedarfs und die Zuweisung von Mitteln zu machen. Denn damit schaufeln sich die geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer ihr eigenes Grab. Sorgten sich die Lehrenden um eine bessere Datenerhebungstechnologie, meldete einzig die studentische Vertreterin prinzipielle Bedenken gegen diese Logik an. Hier ein Auszug aus dem Protokoll :

Ebenfalls wurde in der Diskussion die Frage nach stark divergierenden durchschnittlichen Teilnehmerzahlen, auch Abschlusszahlen pro Lehrveranstaltung (wie groß ist der Anteil an Teilnehmer*innen, die tatsächlich eine Studien- und Prüfungsleistung erbringen im Seminar) angerissen. Es wäre wünschenswert, solche Darstellungen in geeigneter Form mit in die Datengrundlage zur Auslastung des Lehrpersonals am Seminar eingehen lassen zu können.

Die studentische Vertreterin warnt in dem Zusammenhang allerdings davor, eine „SL-Zwang“/ „PL-Zwang“ in Lehrveranstaltungen zu etablieren. Es muss weiterhin möglich sein, Veranstaltungen auf freiwilliger Basis zu belegen.

Hier zeigt sich, wie stark die Lehrenden bereits vor der bürokratischen und marktwirtschaftlichen Logik der Universitätsleitungen resigniert haben, anstatt ihr im Namen sämtlicher Prinzipien der Freiheit von Forschung und Lehre zu opponieren. Eine seltsame Arbeitsteilung deutet sich an: In den universitären Gremien widersprechen einzig die chronisch als linksradikal verdächtigten studentischen Vertreter der herrschenden Logik, während in der bürgerlichen Presse einzig die konservative Seite die tödliche Gefahr unserer Lehranstalten mit Macht skandalisiert.

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