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Fundstücke

Als die Dichter in München regierten

Jannis Brühl
Redakteur
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Jannis BrühlDienstag, 07.11.2017

Holger Gertz schreibt 99 Jahre nach der Novemberrevolution eine historische Seite-3-Reportage über den kurzen Moment in der deutschen Geschichte, in dem die Anarchisten an der Macht waren. Über Gustav Landauer, Erich Mühsam und Kurt Eisner, drei Zausel, die eigentlich Philosophen oder Dichter ("Nach Blut ist nicht mein Degen geil / ich huste drauf im Gegenteil") waren und Schlüsselrollen bei der Ausrufung und der kurzen Existenz des linken bayerischen Freistaates 1918 spielten.

Sie waren Träumer und man liest den Text und wird ein bisschen traurig, dass diese Träumer nicht gewonnen haben. Die Dichter, die Pazifisten, die den Besitz von Immobilien komplett verbieten wollten, und ins Geld einen Automatismus einbauen wollten, durch den es ständig weniger wert wird - kurz: dass die Naivlinge nicht gewonnen haben.

Der Text spannt den Bogen zu den Schwabinger Revoluzzern der 60er Jahre, zum Linkenfresser-Kurs der CSU, und zu den neuen Nationalisten, deren rechtsradikale Vorgänger den Traum zertraten. Denn es ist am Ende eine tragische Geschichte. Die Protagonisten der Räterepublik enden in den Kugeln der Freikorps-Konterrevolution, in antisemitischen Attentaten mitten im schönen München oder später im KZ. (Mühsam „sollte immer das Horst-Wessel-Lied singen, aber immer sang er die Internationale. Sie ermordeten ihn und behaupteten, er hätte sich aufgehängt, auf der Toilette“.)

Auch das Chaos, das jedem Experiment innewohnt, wird deutlich:

Der Palast war voller Menschen, und jeder wollte, dass ihm geholfen werde, nur ihm. "Jeder glaubt, die Räterepublik sei geschaffen, um seine privaten Wünsche zu erfüllen", schreibt Toller. Einer versprach sich von der Räterepublik Mietminderungen, einer wünschte, dass ein Kegelbruder verknastet wird.
...
Andere kamen zum Regierungschef Toller und wollten gekochte Speisen verbieten lassen, die Währung abschaffen oder das Tragen von poröser Unterwäsche zur Pflicht machen.

Als Nebenfiguren tauchen Franz Kafka, Rudolf Steiner und Rainer Maria Rilke auf. Und Oskar Maria Graf läuft in Lederhosen durch New York.

Ein Stück, das es sich zu lesen lohnt, gegen die Geschichtsvergessenheit, die politische Debatten oft durchzieht. Und keine Angst: Holger Gertz macht es dem Leser leicht und erzählt diese Geschichte mit ebenso viel Ironie wie Sympathie für die träumenden Politiker.

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