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Flucht und Einwanderung

Unpiq: Der unheimliche Verlust aller Werte, die Europa verbinden

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergSonntag, 28.04.2024

Der konservative, ja, reaktionäre britische Premier Rishi Sunak entwickelte sich zu einem reichen wie abstoßenden Politiker. Der britische Premierminister will sich bei der Abwehr von Migranten profilieren.

Als Sohn eingewanderter Eltern ist das besonders infam.

England wie ganz Britannien leidet an dem von seinen Konservativen eingeleiteten Brexit: Machtpoker, der mit spätimperialen Schmerzen verstärkt, in ein Desaster führt(e).

Nun werden bei Sunak Migranten und Schutzsuchende Sündenböcke und in einer an Heuchelei kaum zu überbietender Rede begründet er die Abschiebung nach dem unsicheren Ruanda so:

Wir haben das Ruanda-Gesetz eingeführt, um gefährdete Migranten davon abzuhalten von der gefährlichen Überfahrt abzuhalten und das Geschäftsmodell der kriminellen Banden, die sie ausbeuten, zu brechen.


Die Verabschiedung dieses Gesetzes wird es uns ermöglichen das zu tun und deutlich zu machen, dass man nicht bleiben kann, wenn man illegal einreist.

 Unser Hauptaugenmerk liegt nun darauf, die Flüge zu starten und ich bin mir sicher, dass nichts uns daran hindern wird, dies zu tun und Leben zu retten.

Hätte der kleine Mann große Sprachkraft könnte das eine Schurkenrede von Shakespeare sein - etwa aus Richard III.


Jenseits der Blöd-Presse diesseits und jenseits des Ärmelkanals ist das Entsetzen bei Experten und kenntnisreichen Jornalisten groß; hier gibt es einige Stimmen wie die von Sven Lohmann, ARD-Korrespondent in London, auf tagesschau.de:

Das Oberste Gericht in Großbritannien hat erklärt, dass Ruanda für Flüchtlinge kein sicheres Land ist. Von dort fliehen Menschen, auch ins Vereinigte Königreich. Schutzsuchende dürften daher nicht in das afrikanische Land gebracht werden.

Den Plan dennoch durchzuziehen funktioniert also nur, wenn man einfach per Gesetz behauptet, Ruanda sei sicher, so wie die Tories es nun machen. 

... 

Aber was, wenn nationale Gerichte das wieder geraderücken? Ein Schuss mehr Skrupellosigkeit ist hier gefragt: Die britische Regierung höhlt deshalb ihren Rechtsstaat aus und verbietet weitgehend Einspruchsmöglichkeiten.

Allerdings Sunak verkörpert eine Tendenz, die man seit Jahren auch hierzulande findet. Die Verschärfung des Asylrechts, die die EU gerade beschloß und die nur noch von Gerichten gestoppt werden kann, geht in eine ähnliche Richtung.

Es ist ein weiterer Schritt bei der allmählichen Erosion der Fundamente der gemeinsamen Werte und der Menschenrechte dar.

Gut stellt die menschenfeindliche Idee Steffen Mensching in seinem Roman Hausers Ausflug dar, der 2022 erschien und den ich hier besprochen habe. Da schon einer der Vorgänger Sunaks, der an seinem Größenwahn gescheiterte Boris Johnson, ähnliches versuchte, konnte ich schon damals schreiben:

Die Grundidee dieses Romans könnte nicht aktueller sein: Kurz vor Erscheinen des Buches bekannten sich die potenziellen Nachfolger des britischen Premierministers Boris Johnson ausdrücklich zu dessen Vorhaben, Asylsuchende nach Ruanda ausfliegen zu lassen. Dort sollten auch die Asylverfahren stattfinden, und selbst bei positivem Bescheid hätten die Schutzsuchenden in diesem afrikanischen Land bleiben müssen, das im Gegenzug Geld aus Großbritannien erhalten hätte. Dieser Plan erschien den konservativen Kandidaten populär.

Zuvor hatte schon die dänische Regierung versucht, für einen ähnlichen Plan Gefängnisse im Kosovo anzumieten. Beide Vorhaben sind einstweilen von Gerichten gestoppt worden, aber sie geben einen Fingerzeig, wohin die Reise geht: Probleme – was hier bedeutet: Menschen – sollen zunehmend ausgelagert werden.

„Ein Mensch, ein Problem, kein Mensch, kein Problem“, dieser häufig Stalin zugeschriebene Satz passt auch für diese Situation. Allerdings legte Anatoli Rybakow in seinem Roman „Die Kinder vom Arbat“, dem ersten Teil seines vierbändigen Epochenpanoramas, diesen Satz Stalin in den Mund. Als Nachgeborener schuf Steffen Mensching mit „Schermanns Augen“ ein Pendant zu Rybakows bekanntem Werk. Auf den ersten Blick verbindet Menschings neues Werk wenig mit diesem Roman, bei genauerem Hinsehen sieht man aber, dass beide Werke Kammerspiele mit Panoramaausblicken auf die jeweilige Epoche sind. Im Zentrum stehen jeweils zwei Menschen in Extremsituationen, beide Bücher sind welthaltig mit Humor wie in einem Stück von Heiner Müller. Sprachlich und dramaturgisch liegt „Hausers Ausflug“ weit über dem Durchschnitt. Bei aller Ambivalenz der Romanform stellt er ein Misstrauensvotum dar. 

Dabei bleibt Steffen Mensching als Enkel von Karl Marx und Karl Valentin ironisch-utopisch wie im Gedichtband „In der Brandung des Traums“, in dem es heißt: „...die jüngste / Vergangenheit hat in diesem Land / zum gegenwärtigen Zeitpunkt / nicht die Spur einer Zukunft.“

Unpiq: Der unheimliche Verlust aller Werte, die Europa verbinden

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Kommentare 3
  1. Sebastian Müller
    Sebastian Müller · vor 6 Monaten

    Sehr geehrter Herr Engelberg,
    inhaltlich stimme ich Ihrem Artikel voll und ganz zu und teile Ihre Sorge, was die Entwicklung und Ausrichtung britischer Innenpolitik betrifft. Allerdings gehört ein Begriff wie "Blöd-Presse" meiner Meinung nach nicht in einen Artikel, der diese Themen vor dem Hintergrund von Menschenrechten behandelt. Die Verwendung eines solchen Vokabulars sollte eher denen überlassen werden, die solche Entwicklungen von der anderen Seite her betrachten.
    Mit freundlichen Grüßen,
    S. Müller

  2. Silke Jäger
    Silke Jäger · vor 7 Monaten

    Das ganze Brexit-Projekt stand im Zeichen dieser Rhetorik und ich habe mich immer darüber entsetzt, wie wenig das in der Debatte über den Brexit Platz hatte. Das hier ist 8 Jahre alt und war eine Antwort auf Theresa Mays Politik, damals noch Innenministerin https://www.youtube.co...

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 7 Monaten

      Danke.

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