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Flucht und Einwanderung

Nicht nur ein Autor der Stunde: Mathias Énard

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergFreitag, 09.12.2016

Mathias Énard erhält den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung.

Wer sich für diesen Kanal interessiert, für den ist nicht nur das ausgezeichnete Werk aufschlussreich, sondern alle Bücher des Autors, insbesondere ZONE.

https://www.perlentaucher.de/buch/mathias-enard/zone.html

KOMPASS ist nicht nur ein Buch der Stunde; es hat einen längeren Atem:

Kompass ist nämlich auch ein Wissenschaftsroman von stupender Gelehrsamkeit. Énard entfaltet regelrecht die Fachgeschichte der Orientalistik, aber weil diese Wissenschaftler für ihren Gegenstand brennen, geht es dabei immer auch – ja: um den Sinn des Lebens. Um eine Erweiterung des eigenen Ichs – so wie der 65-jährige Goethe sich neu erfand, ein anderer wurde, als er zusammen mit der damals 30-jährigen Marianne von Willemer den persischen Dichter Hafis für sich entdeckte und dieses größte Dokument kultureller Fremdbefruchtung, den West-östlichen Divan, schuf.

Interessant auch der Hinweis, dass der Orient uns präsent ist im Koran und in 1001 Nacht. In religiöser Strenge wie in raffinierter Erotik.

Politisch anregend ist dieser Vergleich:

Kompass ist das Antidot zur identitären Bewegung, die davon überzeugt ist, dass es ursprüngliche, reine Identitäten gibt, zu denen die Völker zu ihrem Heil nur zurückkehren müssen. Énard erzählt hingegen davon, wie unsere Identitäten immer schon Ergebnisse des Austauschs und der Vermischung sind. Mit dieser Haltung ist er in der französischen Gegenwartsliteratur zur Gegenfigur zu Michel Houellebecq und dessen letztem Roman Unterwerfung geworden: Bei Houellebecq ist der Islam die Kontrastfolie zu dem, was er für die Dekadenz des Westens hält. Der Islam ist für ihn vitaler als der säkularisierte Westen mit seiner Genderpolitik, was schon daran zu erkennen sei, dass ein Mann im Islam fünf Frauen haben dürfe. Deshalb sieht er sich, der die Prostitution verteidigt, als letzten Mann im Westens, der seine Virilität nicht auf dem Altar des Feminismus und der Gleichberechtigung opfert.

Nicht nur ein Autor der Stunde: Mathias Énard

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