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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Erdoğan bleibt im Amt.
Und viele in der Türkei werden sich fragen, ob sie emigrieren sollen.
Natürlich waren es keine fairen Wahlen, worauf viele Beobachter hinweisen, etwa Lenz Jacobsen und Marion Sendker auf Zeit.de
Im Hauptteil dieses piqs findet man eine sehenswerte Doku, in der am Beispiel des türkischen Journalisten Can Dündar Widersprüche des heutigen Landes wie auch der internationalen Politik dargestellt werden:Im staatlichen Sender TRT bekam der Präsident im April 1.920 Sendeminuten, sein Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu nur 32. Erdoğan ist überall, seine Gegner unsichtbar, entlassen, eingesperrt, aus dem Land gejagt. Seine Anhänger wiederum, zumindest ein Teil davon, folgen ihm fast mit religiöser Treue, sie sind emotional von Erdoğans Erfolg abhängig – und oft auch finanziell, weil sein Regime längst eine Günstlingswirtschaft aufgebaut hat.
Wenige westliche Politiker wollen sich vor der Kamera äußern; eine Ausnahme ist der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul, der die "Zurückhaltung" der Politik offen benennt:Dafür begeben sich Can Dündar und der Grimme-Preisträger Hauke Wendler auf eine investigative Reise: von Berlin über Frankfurt und Düsseldorf bis nach Stockholm, Paris und weiter nach Buenos Aires.
...
Bereits ganz am Anfang des Films sehen wir Bilder aus dem Jahr 2016, auf denen zu sehen ist, wie auf offener Straße auf Dündar geschossen wird. Er verlässt die Türkei und flieht nach Deutschland. Doch auch hier steht er unter Polizeischutz, sein Leben wird weiterhin bedroht, auch die Dreharbeiten finden teilweise unter Polizeischutz statt. Dündar landet auf »Erdoğans Terrorliste« (so auch der Titel des Films), einer Zusammenstellung von Personen, gegen die Haftbefehle bestehen und für deren Inhaftierung offenbar Belohnungen ausgesetzt sind. »Die haben Geld auf meinen Kopf ausgesetzt, wie im Wilden Westen«, sagt Dündar und zeigt die im Internet zugängliche Seite mit Fotos der Gesuchten.
Man darf nicht vergessen, dass die türkische Politik uns auch in der Frage Flüchtlingsströme geholfen hat, dass die Belastung für die Bundesrepublik Deutschland nicht so groß geworden ist, wie sie hätte werden können.
Dieser Film ist erschreckend, erhellend und sehenswert, aber ihm fehlt historische Tiefenschärfe.
Im oben verlinkten Artikel auf Zeit.de gibt es die in wenigen Zeilen:
Sinem Adar, Türkei-Expertin bei der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik, sagt: Nationalismus sei "das Meer selbst". Heißt: Türkischer Nationalismus prägt das Land jenseits von links und rechts, er ist seit der Gründung des Landes vor hundert Jahren immanent. Mit dieser Wahl drängt er aus der Tiefe an die Macht.
Was aber bedeutet das? Wenige Abschnitte aus meinem Buch AN DEN RÄNDERN EUROPAS, seien deshalb hier zitiert. In einem Abschnitt über die Türkei vergleiche ich das Land heute mit dem, in das mein Vater Ernst Engelberg (1909-2010) vor der Nazidiktatur floh - und dort als Spezialist an der Universität arbeiten durfte.
Was für ein Glück!
Denn damals stauten sich so viele Flüchtlinge an den türkischen Grenzen wie an keinem anderem Land.
Es war eine spiegelverkehrte Situation zu heute, wo das innerhalb der Türkei geschieht.
Nie mehr sollen Menschen Knechte von Menschen sein!
Die Erde sei weit ohne Grenzen, wir laden Euch ein,
kommt bald!
Leben, einzeln und frei wie ein Baum
Und brüderlich wie ein Wald,
ist unser Traum
Nâzım Hikmet
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Als Ernst Engelberg von seinem Balkon übers Marmarameer schaute, war auf der anderen Seite der oft in allen Blautönen schimmernden See Nâzım Hikmet inhaftiert, und zwar von 1938 bis 1950. Das Motto am Beginn dieses Kapitels entstammt seinem gewaltigen mehrbändigen epischen Gedicht "Menschenlandschaften", das er weitgehend im Gefängnis geschrieben hat. Die Freilassung nach langen zwölf Jahren erfolgte aufgrund internationaler Proteste unter anderen von Picasso aus dem französischen Exil. »Manche Menschen kennen die Arten der Gräser, manche die der Fische, ich die der Trennungen«, so formulierte es der 1963 verstorbene Nationaldichter, der erst 2009 – also unter Erdoğan – seine türkische Staatsbürgerschaft zurückerhielt. Sein Grab bleibt aber im Exil: auf dem Moskauer Nowodewitschi-Friedhof, nah bei denen von Tschechow und Gogol.
...
Ein Gericht in Istanbul verurteilte Can Dündar am 22. Dezember 2020 zu 18 Jahren und 9 Monaten Haft wegen Spionage und zu weiteren 8 Jahren und 9 Monaten wegen Terrorunterstützung; also zu insgesamt 27 Jahren und 6 Monaten. Das entspricht in der Höhe ziemlich genau der Strafe gegen Nâzım Hikmet, der 1938 zu 28 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Für Dündar, der von dem Richterspruch im Berliner Exil erfuhr, bedeutet das, dass er nur nach einem fundamentalen Wandel in seine Heimat zurückkehren kann und er mehr als zuvor der Gefahr von Entführungen oder Anschlägen ausgesetzt ist. Die Welt, die einst seine war, ist äußerlich zerschlagen und lebt nur noch in seinem Innern fort. Erinnerungen ersetzen Erleben.
Mittlerweile ist Dündar durch seine Medienpräsenz zum Gesicht des neuen türkischen Exils geworden und kann dank der Digitalisierung anders als seine Vorgänger in die türkische wie die deutsche Öffentlichkeit wirken und für eine andere Türkei kämpfen.
Dies ist nicht rein zufällig und natürlich keine Gleichsetzung, aber ohne Kenntnis der Fälle von Gestern, kann man das Heute nicht voll erfassen.
In einem anderen Abschnitt im Buch erzählt der große Musiker und Erzähler Zülfü Livaneli, warum er in den 1970er Jahren lieber nach Schweden als nach Westdeutschland floh.
Hier gibt es wieder eine Verbindung zum aktuellen Film, da Can Dündar einen verfolgten Kollegen in Schweden besucht. Nicht zuletzt, weil Auslieferungen aus diesem Rechtsstaat schwierig sind, versucht Erdoğan die NATO-Mitgliedschaft Schwedens zu verhindern.
Selbst wenn in fünf Jahren – nach einem Vierteljahrhundert – Erdoğans Epoche zu Ende gehen sollte, bleibt eine türkische Demokratie schwierig.
Sie ist möglich, was sich auch darin zeigt, dass immer wieder demokratische Aufbrüche entstanden – so gab es das Frauenwahlrecht in der Türkei nicht nur vor dem im Nachbarnland Griechenland, sondern auch vor dem in Frankreich.
Das Ziel einer demokratischen Türkei bleibt wie das sprichwörtliche Bohren ganz dicker Bretter. Wer die dunklen Schatten jenseits von Erdoğan nicht wahrnimmt, kann aber keine realistische Politik machen.
Es ist zu befürchten, dass bald mehr gebildete Türken emigrieren und die Vielzahl von Flüchtlingen – die Türkei ist nach UN-Angaben das Land mit den meisten weltweit –, als Druckmittel angewendet wird.
Quelle: Can Dündar, Hauke Wendler, Lenz Jacobsen, Marion Sendker, Achim Engelberg www.zdf.de
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