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Europa

Wer will denn Krieg zwischen Rußland und der Ukraine?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlSamstag, 10.04.2021

Es mehren sich die Berichte von wachsenden Konflikten zw. Russland und der Ukraine sowie von massiven Truppenbewegungen in der Region. Vor allem auf russischer Seite. Dekoder ist m.E. die kompetenteste Plattform für Journalismus und Meinung zu/aus Russland. Dort findet man eine Analyse aus "Republic", einem russischen politischen Nachrichtenmagazin im Internet. Dessen Markenkern sind seriöse aber meinungsstarke Kolumnen, analytisch und gemäßigt oppositionell. Auch in Russland sind die Meinungen zu den jüngsten Auseinandersetzungen ja konträr.

Der russische Militärexperte Pawel Felgengauer glaubt etwa, dass die Krise sich im Extremfall sogar zu einem Weltkrieg auswachsen könne. Für Felgengauers Mitstreiter Alexander Golz ist sie vor allem Säbelrasseln, das dem Aufbau einer Drohkulisse gegenüber dem Westen dient. 
In dem Artikel hier meint der russische Journalist Fjodor Krascheninnikow, dass Putin wohl keinen neuen Krieg will. Und warum er trotzdem die Lage und damit die Kriegsgefahr eskaliert. Es stimmt sicher:
Die Staffeln von Militärgerät wirken besonders beunruhigend. Das geflügelte Wort, dass auch eine ungeladene Pistole einmal im Jahr losgeht, lässt Bedenken aufkommen, ob Riesenmengen an schweren Waffen und Soldaten, die sich am selben Ort befinden, nicht unweigerlich mit einer Schießerei enden. Alles andere ist bei genauerem Nachdenken bedeutungslos. Bereitet man sich auf einen echten Krieg vor, dann jault man darüber nicht von morgens bis abends. 
Sicher war der Popularisierungseffekt für Putin bei den vorangegangenen Aggressionen auf der Krim und im Donbas so groß, weil der Eindruck dominierte, es hätte kaum Opfer gegeben. Aber heute gilt laut Krascheninnikow:
Ich wage zu behaupten, dass selbst der schwächste Widerstand der ukrainischen Armee unsere Falken verschrecken und überhaupt die ganze patriotische Messe vermiesen könnte: Höfliche Menschen, die von Krimbewohnern mit Blumen begrüßt werden, und ein ukrainischer Admiral, der in den russischen Dienst überläuft – das ist eine Sache. Aber Krieg, Leichen und Schusswechsel sind eine völlig andere Sache. Kommt mir nicht mit „Rückkehr in den Heimathafen“. Es ist völlig offensichtlich, dass die ukrainische Armee im Jahr 2021 bereit ist für einen Krieg. Schüsse und Opfer wird man da auf keinen Fall vermeiden können. 

Also warum dann das Drohszenario? Die Annahme, mit einem Krieg den Westen in eine gewünschte Richtung zu drängen, ist nicht sehr überzeugend. Ein Krieg verhärtet alle Positionen.

Doch auch hier scheint das Rasseln mit den Säbeln weitaus wirkungsvoller zu sein als ihr Einsatz. Darum ist eine Kriegsdrohung deutlich besser als ein Krieg, wenn es um Verhandlungstaktiken geht.

Womit wir eine gute Erklärung für die Aktionen Putins hätten ohne ihn zum Vabanquespieler zu erklären. Was er sicher auch nicht ist. Er weiß ziemlich genau, wie der Westen und besonders Europa reagieren werden. Der Autor belegt das mit dem bekannten "Feiglingsspiel" aus der Spieltheorie.

Zwei Autofahrer jagen aufeinander zu, und wer als erstes der Gefahr ausweicht, der ist ein Feigling. Und wer nicht ausweicht, der gewinnt. Falls keiner ausweicht, können beide beim Unfall umkommen. Damit der Gegenspieler garantiert als erstes ausweicht, ist es sinnvoll, vorab Leichtsinn oder gar Fatalismus zu demonstrieren: Der Gegner soll denken, dass dieser Dummkopf tatsächlich bereit ist zu sterben und den anderen mit ins Grab zu ziehen.

Dieses „Chicken Game" spiele Putin mit dem Westen. Er weiß, dass die politischen Klassen der Demokratien abhängig sind von der öffentlichen Meinung.

Die gegenwärtige westliche Moral macht Krieg zu einer größeren Schmach als Feigheit. Das gibt den westlichen Herrschern die Möglichkeit, im letzten Moment vom Pfad der Konfrontation abzuspringen und den Wählern zu sagen: Wolltet ihr etwa wirklich einen Krieg mit Russland wegen irgendeiner Ukraine?

Und so spekuliert Putin darauf, dass die westlichen Eliten im letzten Moment, auf dem Höhepunkt der Spannungen, einen Rückzieher machen. Und damit letztendlich akzeptieren, dass die Krim russisch ist und die Ukraine zur russischen Einflusssphäre gehört. Wobei diese Sphäre des Einflusses damit nicht abgeschlossen  - das Baltikum liegt in Reichweite. Hoffen wir, dass unsere Politiker und Bürger das Spiel durchschauen und, 

dass die massenhafte Konzentration von bewaffneten Menschen und Militärtechnik Entwicklung der Ereignisse führen kann, die von niemandem mehr beherrscht wird.


Wer will denn Krieg zwischen Rußland und der Ukraine?

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Kommentare 3
  1. Eric Bonse
    Eric Bonse · vor mehr als 3 Jahre

    Es greift m.E. zu kurz, immer nur Russland und Putin in den Blick zu nehmen. Die USA und die Ukraine spielen auch eine aktive Rolle - die USA mit dem Großmanöver Defender Europe 21, das auf die Schwarzmeerregion zielt, und die Ukraine mit einem Dekret zur "Wiedereingliederung" der abtrünnigen Regionen und der Krim. Vieles spricht dafür, dass sich Kiew und Washington nicht mehr am Minsker Abkommen orientieren.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 3 Jahre

      Nur das sich die USA seit Jahren eher aus den Kriegsgebieten zurückziehen. Wer glaubt denn ernsthaft, die NATO habe vor, ernsthaft militärisch gegen Rußland zu handeln? Im Gegensatz zu Putin, der aktiv in Konflikte eingreift. Nicht nur in Syrien. Die sogenannten "abtrünnigen Regionen" sind ja selbst Opfer aktiver russischer Maßnahmen. Wenn wir nun der Ukraine vorwerfen, es sei ein Problem, die Wiedereingliederung zu fordern, ich weiß nicht. Da können wir ja gleich sagen, Putin hol dir den Rest auch noch.

      Der Artikel ist ja aus Sicht eines russischen Journalisten geschrieben. Der kennt auch die ideologische Argumentation vieler Medien dort. Was er im Artikel reflektiert. "Die Leute wurden dazu erzogen, dem Fernseher zu vertrauen – und sie werden leicht daran glauben, Putin habe auch ohne Krieg alle überlistet, oder der Krieg habe schon stattgefunden und mit einem weiteren Sieg für uns geendet."

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 3 Jahre

      Leider hinter der Bezahlschramke ....

      https://www.zeit.de/20...

      "Wladimir Putin tut in dieser Situation das, was er schon oft in politischen Krisen getan hat. Er reagiert nicht auf die Angriffe und nimmt zu Nawalny keine Stellung – um ihn nicht aufzuwerten. Er delegiert den Fall. Es wird Aufgabe von Sergej Lawrow, dem russischen Außenminister, sich mit den Deutschen auseinanderzusetzen.

      Moskau, September 2020. Das Hochhaus am Ende der Arbat-Straße, Ecke Gartenring, gehört zu den "Sieben Schwestern", die das Stadtbild der russischen Hauptstadt prägen. Die Wolkenkratzer im Zuckerbäckerstil des "sozialistischen Klassizismus" wurden noch von Josef Stalin in Auftrag gegeben. Hier befindet sich das Außenministerium. Ich bin im siebten Stock mit dem Chef des Hauses, Sergej Lawrow, verabredet.

      Der Fall Nawalny hat sich zu einem Informationskrieg ausgewachsen. Lawrow telefoniert in diesen Wochen regelmäßig mit dem deutschen Kollegen Heiko Maas. Die Tonlage hat sich verschärft. Moskau verlangt von Berlin, auf dem Laufenden gehalten zu werden, doch Deutschland lehnt ab, argumentiert, Russland habe alle notwendigen Angaben für eigene Ermittlungen.

      Der Außenminister ist aufgebracht. "Berlin sagt uns, dass es keine bilaterale, sondern eine internationale Angelegenheit ist, weshalb wir uns an die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) wenden sollen, sie haben angeblich alles dorthin übergeben. Wir haben uns an die OPCW gewandt. Doch sie können uns ihre Einschätzungen auch nicht mitteilen, weil sie von Deutschland um Vertraulichkeit gebeten wurden. Dort sagt man uns, dass wir uns an Deutschland wenden sollen. Berlin schickt uns nach Den Haag, und Den Haag schickt uns nach Berlin."

      "Wer einen Streit beginnt, der sollte wissen, wie er ihn beenden kann"

      Der Chefdiplomat lässt an diesem Nachmittag seinem Unmut freien Lauf. "Das Streben, Russland zu dämonisieren, verschwindet nicht", beschreibt der russische Außenminister die Erfahrungen der vergangenen Tage. Der Fall Nawalny ist für Lawrow ein weiterer Beleg dafür, dass die EU offenbar geprägt ist von der Zwangsvorstellung, das größte Land der Erde sei "ein Ungeheuer". Bestenfalls ein "unerträgliches Kind" am Rand der europäischen Gesellschaft, unkultiviert und unkontrollierbar."

      Ja, es ist komplex .....

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