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Europa

Warum es nötig ist, der Gewaltspirale zu widerstehen

Jürgen Klute
Theologe, Publizist und Politiker
Zum Kurator'innen-Profil
Jürgen KluteSamstag, 26.02.2022

Für den Moment hat die Diplomatie versagt. Die russische Armee (wir sollten nicht von Russland sprechen, denn zum einen ist das eine geografische Größe und kein handelndes Subjekt und zum anderen steht nicht die ganze russische Gesellschaft hinter diesem Krieg) hat die Ukraine anlasslos überfallen. Für viele ist dieser Krieg etwas, das nicht vorstellbar war.

Aber wie geht es jetzt weiter? Elsa Koester hat auf diese Frage Antworten gesucht. Ich finde, ihre Antworten sind es wert, gelesen zu werden.

Zunächst einmal erinnert Elsa Koester unter Verweis auf Arbeiten des Kulturwissenschaftlers Klaus Theweleit und der Historikerinnen Ute Frevert an die verheerenden gesellschaftlichen Wirkungen von Kriegen – gerade nicht nur im Sinne materieller Zerstörungen:

Gleichzeitig sitzen die Traumata, die im Krieg angesichts dieser Enthemmung von Gewalt erlebt werden, tief. Russische und ukrainische Soldaten sind dieser Gewalt jetzt ausgesetzt, üben sie aus. Ihre Familien sorgen sich um sie, und auf gewisse Weise ist jetzt schon klar, dass ihre Söhne, Töchter, Brüder, Schwestern und Partner*innen nicht so zurückkehren werden, wie sie gegangen sind. Sie werden Ängste erlebt und Brutalität ausgeübt haben, die für Daheimgebliebene nie nachvollziehbar sein werden. Sie werden Dinge erlebt haben, die Einfluss auf die Beziehung zu ihren Kindern haben wird. Dieser Krieg wird das Aufwachsen von Kindern in der Ukraine, in Russland und in Osteuropa brutalisieren, wie es vielleicht schon so viele kriegerische Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg zuvor taten, in Jugoslawien, im Kosovo, in Georgien, in der Türkei.

Was Elsa Koester hier beschreibt, ist aus meiner Sicht das entscheidendste Argument gegen Kriege und dafür, alles zu tun, sie zu vermeiden.

Aber wie kann es weitergehen? Kann und darf mensch mit Politikern verhandeln, die wie Putin ohne Rücksicht und Skrupel einen völkerrechtswidrigen und vollkommen anlasslosen Überfall auf ein Nachbarland befehlen, fragt Elsa Koester?

Ist unsere Generation überhaupt noch in der Lage, mit Gegnern umzugehen? Allzuhäufig machten die politischen Debatten unserer Zeit bei der Feststellung halt, dass ein Antisemit ein Antisemit ist, ein Rechter ein Rechter und ein Sexist ein Sexist. Was dies nun für das gesellschaftliche Zusammenleben bedeutet, wie also ein Umgang mit dem politischen Gegner aussieht, wurde kaum erfragt. „Nazis raus!“, dieser Slogan war prägend für die vergangenen Jahre, und: „Mit Rechten redet man nicht“.

Was aber, wenn man einen Rechten nicht einfach rausschmeißen kann? Wenn man mit ihm einen Umgang finden muss? Geht das?

Um die oben beschriebenen psychischen und sozialen Zerstörungen, die Kriege verursachen und die über Generationen nachwirken, zu vermeiden, votiert Elsa Koester – m. E. völlig zu Recht – dafür, sich nicht in den Strudel von Gewalt hineinziehen zu lassen und weiter nach Auswegen aus der Gewaltspirale zu suchen. Da Empörung keine Lösung eines Konfliktes ermöglicht, heißt das für den Moment, auch mit Menschen wie Putin verhandeln zu müssen und sich für den Augenblick der Macht des Faktischen zu stellen, um der Barbarei dieses von Putin initiierten Krieges ein möglichst schnelles Ende zu bereiten. Fertige Erfolgsrezepte dafür gib es allerdings nicht. Auch das muss gesagt werden. Es ist ein Weg ins Ungewisse. Weshalb es geboten ist, sich darauf einzulassen, hat Elsa Koester m. E. überzeugend dargelegt.

Warum es nötig ist, der Gewaltspirale zu widerstehen

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Kommentare 20
  1. Günther Ahlers
    Günther Ahlers · vor fast 3 Jahre

    Man muss miteinander reden, aber reden auf Augenhöhe und immer rechtzeitig. Zu Beginn
    seiner Zeit als Regierender und auch noch später, man denke an die Rede im deutschen Bundestag, da war z.B. Putin noch relativ friedlich und man hätte mit Ihm bestimmt norma-le Vereinbarungen treffen können aber man hätte Ihm das Gefühl der Augenhöhe geben müssen. Ein Mensch, der sich gleichwertig fühlt und ihm das auch zeigt, wird nomalerweise auch Vereinbarungen einhalten. Das soll alles keine Entschuldigung für den heutigen Krieg sein, aber es hat mal wieder einen Krieg gegeben, den wir schon einmal hatten und auf eine Person bezogen ist.
    Was man heute so liest und hört, ist, dass er sich vom Westen nicht Ernst genommen ge- fühlt hat und so hat sich im Laufe der Jahre sein Bild und seine Hinwendung zum Westen gewandelt. Es ist ja schon aus heutiger Sicht seltsam, dass wir uns fragen müssen, an was hätte er sich wenden oder mit wem hätte er sprechen können und so hat er sich aus meiner Sicht seinem Land verschrieben und das wohl zu seiner Religion gemacht. Aus mensch- licher Betrachtung sind wir ja alles Germanen, in Russland jedoch gibt es weit über 100 Nationen, verschiedenste Volksstämme und man kann nicht mit so vielen unterschiedlichen Menschen klarkommen und versuchen eine Meinung uu bilden u.v.m. Natürlich betrachtet, wäre seine Hinwendung zum Westen ihm auch entgegen gekommen.
    Ich könnte noch länger darüber referieren will aber nur eines sagen, was er jetzt macht hat mit dem zuvor gesagten nichts mehr zu tun, ist auch nicht zu entschuldigen ich frage mich jedoch ob dieser Krieg nicht vermeidbar gewesen wäre.
    Man sieht auf jeden Fall jetzt, es muss erst etwas sehr schlimmes, brutales passieren , bevor die Menschen sich zusammen schliessen.

    Trotz allem einen schönen Abend

  2. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 3 Jahre · bearbeitet vor fast 3 Jahre

    Ich kann Dominik Lenné nur zustimmen: im Gegensatz zum gerade sich entfaltenen Narrativ, dass wir Deutschland / der Westen falsch gelegen hätten mit Frieden Völkerrecht Verabschiedung der Denkweise 19. und 20. jh und mit dem Wunsch nach Abrüstung und Reduzierung des Militärischen und dass jetzt gaaaanz schnell wir alles nachholen müssten, im Gegensatz dazu bin ich überzeugt, dass wir damit richtig lagen. und liegen. Allerdings in zwei Punkten müssen wir etwas ändern: wir brauchen starke internationale Organisationen wie EU (=und UNO, aber das funktioniert ja durch die Sicherheitsrat-Architektur in solchen Fällen wie jetzt nicht) und wehrhafte 'Arme' dazu, wie eine echte EU-Armee (und Nato).
    Das sind aber Punkte, die nicht im Rückschritt und Rückgriff begründet sind, nein. Eine echte starke EU mit einsatzfägigem Militär wird ja schon länger gefordert. und ja dazu gehört auch dass ein so großes Mitgliedsland wie Deutschland u.v.a. sein eigenes Militär vernünftig ausrüstet! (...verstehe sowieso nicht wie wir an die ganze Welt 'begehrte' Waffen verkaufen können und selbst so grottenschlecht darstehen!).
    und zum 21. jh gehört dass wir weiter das Völkerrecht ausbauen und weiterhin wehrhaft machen: da hatte sich immerhin in den letzten 30 Jahren viel getan.

    Aber ein Gesetz und ein Gericht ohne Polizei funktioniert auf Dauer eben nicht.

    Kleine Anmerkung zum Schluss:
    Putins Argumentation von wegen territoriale Integrität gelte nicht weil Bürger im Land in Gefahr (=was ja die USA beim Einmarsch in den Irak u.a. auch benutzten) sollte man tatsächlich ernst nehmen (= Das Selbstbestimmungsrecht der Völker hat das immer schon angekratzt)
    - und gegen ihn und andere Autokraten Diktatoren verwenden.

    Denn bei allen guten Gründen für die quasi Heiligkeit von Grenzen und Staatssouveränität ist unsere Welt doch so zusammen gewachsen, dass wir als globale Zivilgesellschaft schon länger Probleme damit haben, Menschen im Stich zu lassen lassen zu müssen, "nur" weil sie hinter Staatsgrenzen gefangen sind. ..

    letztendlich also müsste könnte die aktuelle Krise für den Westen bzw. die sog. Erste Welt ein Anlass sein, die Welt auch politisch als EINE zu verstehen und zu gestalten, / gestalten zu wollen (zusammen mit allen Bürgern der Welt!):
    es gibt schließlich genug Aufgaben und Probleme, die - wie immer gebetsmühlenartig behauptet - nur gemeinsam zu lösen sind: Klimakrise. Welthunger. Krieg und Flüchtlinge.

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast 3 Jahre

      @Cornelia Gliem: Die von dir aufgeworfene Frage nach den Grenzen der Souveränität finde ich eine zentrale und zu dem auch spannende Frage. Im Mittelalter konnte man Menschen noch auf ein Leben nach dem Tod vertrösten, wenn das irdische Leben kein gutes war. In einer Welt, in der diese Hoffnung auf ein besseres Jenseits nicht mehr existiert, sind wir verpflichtet, alles dafür zu tun, dass dieses eine Leben, dass uns gegeben ist, in Würde und als ein gutes und erfülltes Leben gelebt werden kann. Da kann man nationalstaatliche Grenzen bzw. Zäune nicht bedingungslos respektieren. Aber umgekehrt kann ein solches Argument, wie Putin zeigt, auch sehr schnell missbraucht werden. Zu diesem Thema kann ich im übrigen das Buch "Die Rechte der Anderen" von Seyla Benhabib empfehlen. Sie setzt sich in diesem Buch mit den Grenzen der Souveränität auseinander, die in ihrem heutigen Verständnis (staatliches Gewaltmonopol) ihre Wurzeln im Konzept des westfälischen Friedens hat, aber eben auch für diktatorischen Machtmissbrauch offen ist aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols. Im deutschen Faschismus und insbesondere in der Shoa sieht Benhabib die Perversion des Souveränitätsgedankens ins Extreme getrieben. Von daher tritt sie für eine Begrenzung staatlicher Souveränität ein durch supranationale Institutionen im Äußeren und durch Demokratie und Gewaltenteilung im Inneren, um das staatliche Gewaltmonopol in beide Richtungen einzuhegen, um dem Satz von Hannah Arendt Rechnung zu tragen, dass jeder Mensch das Recht hat, Rechte zu haben!

  3. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor fast 3 Jahre · bearbeitet vor fast 3 Jahre

    Wichtiger Tweet - Quatsch Piq, ich bin schon ganz verdorben!
    Ich finde es gut, dass DE "pazifistisch" und "schwach" war, ein friedlicher (Halb-)Riese auf der Suche nach common sense (und Wohlstand, natürlich). In einem gewissen Sinne finde ich es sogar gut, dass wir naiv waren und uns den Rückfall um 80 Jahre in Europa nicht vorstellen wollten.

    Ich habe hier (https://www.youtube.co...) die Analyse des Chicagoer Politikwissenschaftler John Mearsheimer von 2015 angehört, in der er i.W. sagte: Die EU seien Menschen des 21. Jahrhunderts, Putin und die Chinesen und auch die USA hingegen Menschen des 19. Jahrhunderts, für die internationale Politik darin besteht, Macht und Einfluss zu erlangen oder zu verteidigen. Wir sind nun gezwungen, unsere "21.-Jahrhundert-Denke" wieder etwas zurückzunehmen und mMn sollte dies bewusst und explizit temporär sein. Es sollte als Rückschritt benannt werden, um nicht die Orientierung zu verlieren, und das mittelfristige Ziel sollte explizit eine inklusive Europäische Sicherheitsarchitektur sein, mit wieder geringen Rüstungs- und hohen Dekarbonisierungsausgaben.

    Dann würde ich gern die Diskussion um die anthropologische Komponente erweitern. Seit einer Million Jahren - müssen wir annehmen - sind Menschengruppen gelegentlich über ihre Nachbarn hergefallen, um ihr Territorium zu erobern. Meines Wissens ist das ein kollektives Verhalten, das viele, wenn nicht alle, in Gruppen lebenden Raubtiere und auch Schimpansen kennen.

    Da es kein individuelles Verhalten ist, benötigt es kommunikative Geschehnisse, die die Gruppe auf die aufkommende Aggression einstimmen und sie koordinieren. Die Herausbildung eines Führers, Feindseligkeit, das Gefühl der Stärke der eigenen Gruppe könnten atmosphärische Qualitäten sein, die sich in den Interaktionen herausbilden, erst kaum merklich, dann immer manifester. Bei Tieren durch Dinge wie Mimik und Gestik, Tonfall der Lautäußerungen, vielleicht auch Geruch gefördert. Beim Menschen kommt nur noch die Rhetorik dazu. Der Kriegsmodus wird eingeleitet durch kleinere Akte der Aggression, die Erfolgserlebnisse bringen und eine Eskalation heraufbringen. Wenn man sich das so ausmalt, sieht man Hitler und Putin sofort vor dem geistigen Auge aufsteigen: Die Kette kleinerer und immer größer werdender Grenzüberschreitungen bekommt plötzlich einen Sinn.

    Ruhm und Ansehen gehören auch dazu. Zu allen Zeiten wollten die Herrscher mächtig sein und gefürchtet und nicht nur sie - der kleine Mann (hier bewusst "Mann") ergötzte sich ebenfalls an dem Gefühl, einer mächtigen Nation anzugehören, wie wenig er persönlich auch dazu beigetragen haben mag. Das sehen wir überall. In einer Welt, in der ein Überfall durch die Nachbarn alle fünf oder zehn Jahre vorkam, war das sehr wichtig und von evolutionärem Vorteil. Als stark zu gelten, hemmt den Tatendrang der Feinde. Das ist das Erbe in uns, das wir uns bewusst machen müssen.

    Was ist daraus zu lernen? Auf die Stimmung, die Rhetorik, die Themensetzungen und die Framings zu achten, sie zu reflektieren und im eigenen Sinne zu beeinflussen. Weil dieses kollektive Verhalten in uns Allen als Möglichkeit angelegt ist, kann es auch den Diskurs übernehmen und andere, friedlichere Tendenzen verdrängen.

    1. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor fast 3 Jahre

      Ich finde deinen Kommentar sehr erhellend. Danke dafür. Bei Twitter bin ich auf diesen Thread gestoßen, der eine gute Ergänzung zu dem ist, was du schreibst. Michael Bang Petersen, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Aarhus, beginnt ihn so: "The rage & fear you feel after the Russian invasion are ancient parts of your mind preparing - like clockwork - for a world of conflict. After 10 years of research in the lab & field, it is surreal to feel it unfold in my own mind"
      https://twitter.com/M_...

    2. Dominik Lenné
      Dominik Lenné · vor fast 3 Jahre

      @Silke Jäger aaarrhh. Just in diesem Moment wollte ich den gleichen Tweet hier einfügen. Lustig. Ja genau. Wir müssen uns unsere Reaktionen bewusst machen, dann können wir - vielleicht - klüger agieren.

    3. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor fast 3 Jahre

      @Dominik Lenné Wahrscheinlich ist das in den meisten Fällen: abwarten und Tee trinken ;) (Wie schön, dass wir dieses Privileg haben: abwarten zu können ...)

  4. Silke Jäger
    Silke Jäger · vor fast 3 Jahre · bearbeitet vor fast 3 Jahre

    Es ist müßig, über vergossene Milch zu klagen, aber mir scheint, vielen Menschen ist erst letzte Woche klar geworden, wozu Putins Regime fähig ist. Mich macht das einigermaßen fassungslos.
    Ich musste zuletzt sehr oft an Christa Wolfs Roman Kassandra denken, in dem sie beschreibt, wie wenig die Menschen auf das achten, was vor dem Krieg passiert. "Jeder Krieg hat einen Vorkrieg." Und ganz ehrlich, wer aufmerksam war, der konnte ihn ziemlich deutlich sehen. Einige Journalist:innen, die sich mit hybrider Kriegsführung im Zusammenhang mit der Wahlbeeinflussung in USA und UK beschäftigt haben, wurden ignoriert und es wurde versucht, sie mithilfe von LawFair mundtot zu machen, zB Carole Cadwalladr (https://www.theguardia...). Journalist:innen, die auf den Zusammenhang zwischen Korruption, Golden Visas und Putins Machtanspruch aufmerksam machten, wurden ermordet, zB Daphne Caruana Galizia (https://de.wikipedia.o...). Es gibt einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingsströmen nach Europa und den Kriegen, die Putins Regime anzettelt oder verstärkt. Auch die Corona-Proteste passen da rein, wie dieser piq festhält https://www.piqd.de/su....
    Die neue Kriegskultur funktioniert Informationen, die Justiz und die Not von Menschen zu Waffen um. Das bindet Aufmerksamkeit, hält uns beschäftigt und verwirrt uns in einem Maße, dass es immer schwerer fällt die Spreu vom Weizen zu trennen, das echte Signal vom weißen Rauschen zu trennen. In der Folge sehen wir die Handlungsspielräume nicht, so lange sie noch da sind. Das ist das Ziel dieser Art der Kriegsführung.
    Dieser neue Angriff hätte vielleicht nicht stattgefunden, wenn Putin nicht in den letzten Jahren mit den Aggressionen durchgekommen wäre, die er zahlreich begangen hat. Der Westen hat sich dem nicht entschieden und in Einigkeit entgegengestellt, hat seine Handlungsoptionen nicht genutzt, weil es eine starke Abwehr dagegen gab, dass das alles wirklich wahr sein könnte.
    Jetzt ist es für vieles zu spät und es bleibt kaum noch etwas anderes, neben dem, was wir alle nicht selber tun wollen. Die Ukrainer:innen haben kaum eine andere Wahl, als zu den Waffen zu greifen. Und ich fürchte, der Westen hat kaum noch andere Handlungsspielräume, als das, was er gerade tut. Wir hängen längst in diesem Krieg drin. So oder so. Dafür hat Putin seit 2014 gesorgt. Und wir selbst schon irgendwie auch selbst.

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast 3 Jahre

      Danke für die Einschätzung, Silke. Ich stimme dir in allen Punkten zu. Trotzdem bleibt aber die Frage, wie eine weitere Eskalation – insbesondere in Richtung eines atomaren Schlagabtausches – vermieden werden kann. Ich habe auf diese Frage keine Antwort. Der beliebte Hinweis auf eine diplomatische Lösung des Konfliktes greift insofern nicht mehr, weil die ja versucht und von Putin verweigert wurde. Putin hätte, da gebe ich dir Recht, viel früher gestoppt werden müssen. Dazu hätte es eine nüchterne Analyse gebraucht, die es aber nicht gab. Dennoch bleibt die Frage, wie eine weitere Eskalation des Konfliktes verhindert werden kann. Einfach weil die gesellschaftlichen und psychischen Folgen von Kriegen verheerend sind. Und ich finde, Elsa Koester erinnert völlig zurecht daran, auch wenn das alles eher hilflos klingt.

    2. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor fast 3 Jahre

      @Jürgen Klute Wie eine weitere Eskalation verhindert werden kann, weiß ich natürlich auch nicht. Ich bin aber dafür, dass die Nachrichtenformate in sich gehen und sich fragen, wie wahrscheinlich das zum jetzigen Zeitpunkt ist. Und erst dann vor einem Atomkrieg warnen, wenn die Wahrscheinlichkeit eine gewisse Grenze überschritten hat. Ein Militärexperte beschrieb gestern in der ARD, dass es 4 Eskalationsstufen vor dem Abschussbefehl von atomaren Bomben gibt in Russland und Putin gestern auf Stufe 2 geschaltet hat. Das ist die Nachricht. Nicht: Putin droht mit Atombomben.

      Mir ist das bei der Corona-Pandemie wirklich sehr aufgefallen: Oft informieren Nachrichtenformate inklusive Brennpunkten und Talkshows nicht in der Weise, dass man sich wirklich ein Bild der Lage machen kann. Ich bin jetzt sehr vorsichtig geworden. Vor allem, wenn es um Angstnachrichten geht. Ich versuche, das gar nicht zu schauen, sondern eher Analysen im Deutschlandfunk zu finden.

  5. Ruprecht Polenz
    Ruprecht Polenz · vor fast 3 Jahre

    Man kann jedem Wort zustimmen, mit dem die schrecklichen Verheerungen von Kriegen beschrieben werden, und wie wichtig Frieden für eine positive Entwicklung von Gesellschaften ist. Aber wußten wir das nicht schon vorher? Die Frage: wie kommt man zu Frieden mit einem ruchlosen Aggressor? Wird zwar gestellt. Aber damit endet der Artikel, statt mögliche Antworten wenigstens anzudeuten. So kommen wir nicht weiter.

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast 3 Jahre

      Da stimme ich dir völlig. Es gibt keine Antwort auf diese Frage. Niemand hat die wohl zur Zeit. Das habe ich am Ende meiner Empfehlung auch angemerkt. Dennoch halte ich solche Stimmen für notwendig, damit wir uns nicht plötzlich in einem atomaren Schlagabtausch wiederfinden, sondern nach Alternativen suchen. Die kann aus meiner Sicht auch nicht darin bestehen, die Ukraine sich selbst zu überlassen oder sich dem Diktat von Putin zu unterwerfen. Aber vielleicht müssen wir im Augenblick anerkennen, dass es wenig Spielraum gibt. Um so wichtiger ist es, diese politischen Spielräume mit Bedacht auszuloten (statt spontan und empörungsgesteuert zu handeln) und sie politisch klug zu nutzen. Es ist mir klar, dass eine solche Antwort für den Augenblick nicht befriedigend ist. Aber welche Alternative gibt es denn?

    2. Ruprecht Polenz
      Ruprecht Polenz · vor fast 3 Jahre

      @Jürgen Klute 1. Eindämmen. Putin muss unmissverständlich wissen, dass ein Angriff auf einen NATO-Staat zur Folge hat, dass er mit den USA und dem ganzen Bündnis im Krieg ist. Wenn er das versteht, wird die Abschreckungswirkung ausreichen.
      2. Aufrechthalten der umfassenden Sanktionen, bis die Ukraine ihre Souveränität wieder hat und ihre territoriale Integrität wiederhergestellt worden ist.
      3. Bereits jetzt sollte der Ukraine eine EU-Beitrittsperspektive gegeben werden, sobald sie die Kopenhagener Beitritts-Kriterien erfüllt.
      4. Einsicht, dass Frieden und Sicherheit in Europa für die vorhersehbare Zukunft nicht mit, sondern gegen Russland organisiert werden muss. Das bedeutet (wie im kalten Krieg) Abschreckung, Koexistenz und hoffentlich bald einen Helsinki-Prozess 2.0
      5. Stärkung zivilgesellschaftlicher Kräfte in Russland, die eine andere Politik wollen. Putin ist nicht Russland.
      6. Die Sicherheitsanstrengungen (umfassender Sicherheitsbegriff) von Deutschland müssen deutlich verstärkt werden.
      7. Verminderung strategischer ökonomischer Abhängigkeiten von Russland im Energie-Sektor durch stark forcierten Ausbau erneuerbarer Energien und Diversifizierung der Öl- und Gasimporte

    3. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast 3 Jahre

      @Ruprecht Polenz Den Punkten 3, 5 und 7 stimme ich zu. Bei den anderen bin ich nicht sicher, ob sie zur Friedenssicherung beitragen oder zur weiteren Eskalation.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre

      @Jürgen Klute Man kann ja nie sicher sein.

  6. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre

    Natürlich sollte man versuchen mit Menschen wie Putin verhandeln. Wenn er denn will, mit sich handeln läßt. So wie es jetzt aussieht, hält er sich für stärker und übt mit der Waffe in der Hand Gewalt einfach aus. Es geht also gar nicht um das Verhandeln. Das gibt es in einer solchen Situation eigentlich gar nicht. Man hat die Wahl einfach aufzugeben und seine Herrschaft anzuerkennen oder zu sterben oder zu kämpfen. Ich glaube, das hat diese Generation noch gar nicht erfasst?

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor fast 3 Jahre

      Ich stimme dir zu, dass Verhandeln im Augenblick als unrealistisch erscheint. Um Putin an den Verhandlungstisch zu bringen, muss ihm etwas entgegengesetzt werden, dass für ihn Verhandlungen vorteilhafter erscheinen lässt als die Fortsetzung des Krieges. Sonst verhandelt er nicht. Das ist schon klar. Nur: Russland ist eine Atommacht und verfügt über eines der größten Atomwaffenarsenale weltweit. Welche Optionen bleiben da, wenn klar ist, dass eine militärische Einmischung von außen schnell zu einem atomaren Schlagabtausch führen kann?

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre

      @Jürgen Klute Ehrlich gesagt, ich sehe auch keine sichere Strategie. Aber auch Putin weiß, dass auf der anderen Seite Atomwaffen sind. Deswegen sollte man nicht im vorauseilenden Gehorsam einfach aufgeben und Putin gewähren lassen. Genau das versucht er ja mit seinen dunklen Drohungen.

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