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Europa

Solidarność: Was ist aus der Solidarität in Polen geworden?

Ulrich Krökel
Osteuropa-Korrespondent / Piqer für DLF-Europaformate
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Ulrich KrökelMontag, 09.11.2020

Vor 40 Jahren, am 10. November 1980, erkannte die Regierung in Warschau die Gründung der ersten freien Gewerkschaft in der Volksrepublik Polen an. Ohne die Solidarność (Solidarität) und den charismatischen Streikführer Lech Wałęsa wäre die Geschichte des Landes sicher anders verlaufen. Wałęsa, Friedensnobelpreisträger von 1983, war später erster Präsident des postkommunistischen Polens. Dass die Solidarność mit ihren zeitweise zehn Millionen Mitgliedern aber weit mehr war als Wałęsa und auch mehr als eine Gewerkschafts- und Freiheitsbewegung, führen Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster in einem großartigen Reportage-Podcast der nicht weniger großartien DLF-Reihe Gesichter Europas vor, die ich hier verlinkt habe.

Der Titel "Auf der Suche nach der Solidarität" lässt bereits erkennen, worum es geht: Von Aster und Schrum spüren nicht nur den historischen Ursprüngen der Bewegung nach, sondern vor allem dem Erbe der Solidarność und damit auch der Bedeutung von Solidarität und Zusammenhalt in der polnischen Gesellschaft des Jahres 2020, die als ähnlich gespalten gilt wie die US-amerikanische. Man denke nur an den jüngsten Streit über eine weitere Verschärfung des Abtreibungsrechts. Dass es um etwas sehr Grundsätzliches geht, zeigt die Gegenüberstellung der Erinnerungen der Solidarność-Veteranin Małgorzata Niesobska-Urbaniak mit den Erfahrungen, die Agnieszka Mróz als Gewerkschaftsgründerin bei Amazon in Posen macht:

Als Arbeitsschutzkontrolleurin ist die 26-jährige Niesobska-Urbaniak [im Sommer 1980] für die Stettiner Baustellen zuständig. Es war eine graue Zeit, erinnert sich mit ihren heute 66 Jahren]. Die Regale in den Geschäften sind leer, manchmal fehlt sogar Brot, der Schwarzmarkt blüht, wer kann, besorgt sich Lebensmittel auf dem Land. [...] Als auf der Stettiner Werft der Solidarność-Streik ausgerufen wird, organisiert Niesobska-Urbaniak den Ausstand auf den Baustellen. Ob alt oder jung, alle machten mit, erinnert sie sich: "Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Was das für eine Atmosphäre war. Das war der reine Wahnsinn."

Von überbordender Solidarität und Gänsehautgefühlen ist bei der Gewerkschaftsarbeit von Agnieszka Mróz wenig zu spüren:

Zehn-Stunden-Tage, Schichtdienst, Zeitverträge, Kameraüberwachung, permanente Leistungskontrolle und Bruttostundenlöhne leicht über dem Mindestlohn, zwischen 4,50 Euro und fünf Euro: Gewerkschaftsarbeit ist in der Betriebsphilosophie des Weltkonzerns Amazon nicht vorgesehen, sagt Agnieszka Mróz. Sie und einige ihrer Kollegen wollten das ändern und gründeten in Posen einen Ableger der Inicjatywa Pracownicza (IP), zu Deutsch: Arbeiterinitiative, eine Basisgewerkschaft, die vor Ort versucht, Arbeiter und Arbeiterinnen zu organisieren und dabei auf einen bürokratischen Überbau verzichtet. Von Arbeitern mit Arbeitern für Arbeiter: Das ist die Idee. [...] 700 Mitglieder hat die IP in den elf polnischen Amazon-Werken, fünf Prozent der Belegschaft, [in der] die Fluktuation und der Anteil von Zeitarbeitern hoch sind.

Es ist kein Zufall, dass mit Niesobska-Urbaniak und Mróz hier zwei Frauen zu Wort kommen. Ohne es groß zu betonen, zeichnen Schrum und von Aster ein eher weiblich geprägtes Bild der Solidarność-Geschichte und ergänzen damit die üblichen Wałęsa-Erzählungen. Auch das erfrischt und macht den Podcast sehr hörenswert.

Solidarność: Was ist aus der Solidarität in Polen geworden?

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