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Europa

Liberal - illiberal - neoliberal, ist das wirklich die Erklärung für Osteuropas Misere?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlDienstag, 02.04.2019

Aleida Assmann antwortet auf Analysen von Ivan Krastev zum Zustand Osteuropas und des wachsenden Nationalismus dort. Aus meiner Sicht erreicht sie die Differenziertheit und Tiefgründigkeit des Bulgaren nicht. Eher wiederholt sie linksliberalen Stereotype der Weltbeschreibung. Krastev ist recht ausführlich auf die historischen, demographischen und wirtschaftlichen Ursachen der sozialpsychologischen Probleme Osteuropas mit der Flüchtlingskrise 2015 eingegangen. Das er dies als Schockerlebnis schildert, sollte man m.E. nicht so  abbügeln:

Diese Beschreibung ist nicht unproblematisch; zum einen, weil sie die Kategorie der Traumatisierung stillschweigend von den Flüchtlingen auf die Aufnahmegesellschaft überträgt, und zum zweiten, weil Krastev Flüchtlinge, die auf Gefahren und existentielle Not reagieren, mit Terroristen gleichsetzt.

Erstens setzt er nicht gleich. Ob es traumatisierend war oder nicht, sollte zweitens nicht nach dem Motte entschieden werden, dass etwas nicht sein kann, weil es nicht sein darf. Auch die Idee von A. Assmann, es wäre besser gewesen, die Geschichte Europas anders zu erzählen, um nicht in Fatalismus zu verfallen, erstaunt mich. Entweder Krastev und Holmes haben die Historie richtig analysiert und es war so. Dann müssen sie das auch vertreten. Ihnen nahe zu legen, die Geschichte doch bitte anders zu formulieren fürs Volk, finde ich bedenklich. 

Auch wurde die westliche »Normalität« nicht in dem Sinne zum wichtigsten Ziel der politischen Revolution erhoben. Es war eine tiefe Sehnsucht in breiten Teilen des Volkes nach dem westlichen Lebensstandard und viel abstrakter vielleicht auch nach Demokratie. Ja, es gibt sehr viel „auf Unausgesprochenes .... und Bauchgefühle wie Aversionen, Animositäten und Ressentiments.“

Es stimmt, „was die ost- und mitteleuropäischen Dissidenten erkämpft und erhofft hatten, war eine liberale Demokratie“. Das Volk aber wollte Wohlstand (ohne den Demokratie selten funktioniert), den es auch in der EU nicht geschenkt gibt. 


Liberal - illiberal - neoliberal, ist das wirklich die Erklärung für Osteuropas Misere?

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Kommentare 22
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als 5 Jahre

    Die Beschreibung des Beitrages deutet fast auf das Format UNPIQ hin.

    Für mich ist das Feld der Dissidenten breiter; es gab welche, die eine liberale Demokratie wollten und andere.

    Beim liberalen Hauptstrom gab es Illusionen über die Realität im Westen. So gab es, nachdem Havel Präsident in Prag geworden war, einen offenen Brief von Peter Turrini - von beiden wurden zeitgleich Theaterstücke in Wien aufgeführt -, in dem der österreichische Kollege vorschlägt, Havel solle ihm die letzten Illusionen über den Realsozialismus austreiben und er ihm und vielen anderen Dissidenten die über den Westen.

    1. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      Danke für Ihren Piq zu Krastev: ,,Eine autoritäre Wende ist in der EU möglich, eine linke Revolution aussichtslos. Für Krastev ist die Massenemigration die neue Revolution.‘‘ https://www.piqd.de/ze...

    2. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      @Christine Köhler Die in Massen emigrierenden ,,Revolutionäre" (die Arbeitssklaven der EU) beschreibt Lehermayr sehr eindrucksvoll, unter anderem: https://lehermayr.com/... und https://lehermayr.com/...

  2. Christine Köhler
    Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

    Krastev ist bestimmt wichtig, aber doch auch nicht der einzige ,,Weltbeschreiber". Vor allem lese ich ihn so, dass er die Identitätsfragen ernster niemand, als die Wohlstandsfragen (,,das Volk wollte Wohlstand"). Während dreijähriger Berufstätigkeit in Rumänien, ist mir vor allem aufgefallen, wie westliche Konzerne das Land übernommen haben (z.B. Kaufland/Lidl, OMV). Und dass die Arbeitkraft bis zur Schmerzgrenze (und weiter) ausgenutzt wurde (z.B. der Zulieferer Leoni (der u.a. Kabelbäume für Mercedes fertigen lässt). Es wurde nur der rumänische Mindestlohn gezahlt, nach schwierigen Arbeitskämpfen gabe es zusätzlich Gutscheine (für Kaufland, z.B.). Arbeitskräfte wurden in Bussen auch aus Serbien geholt, also das Ausspielen der Arbeitskraft gegeneinander etc. Ich nenne hier nur punktuell, was mir auffiel. Andere beschreiben diese Übernahme, unter der übrigens auch die ,,neuen Bundesländer'' zu leiden haben, auführlicher und kompetenter. Die EU als neoliberales und identitätszerstörendes Projekt zu kritisieren, erscheint mir eine legitime linksliberale Weltbeschreibung zu sein. Krastev und Assmann scheinen mir außerdem miteinander kompatibel.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      In der Tat setzt Krastev setzt in der Tat stark auf die Idenitätsfragen. Er schreibt aber auch:
      „Heutzutage vergleichen die Menschen ihr eigenes Leben nicht mehr mit dem ihrer Nachbarn, sondern sie vergleichen sich mit den wohlhabendsten Bewohnern des Planeten. Sucht man also etwa nach einem wirtschaftlich sicheren Leben für die eigenen Kinder, dann sorgt man am besten dafür, dass sie in Dänemark, Deutschland oder Schweden geboren werden, und betrachtet die Tschechische Republik oder Polen allenfalls als nachrangige Optionen.“
      Also die Sehnsucht nach der westlichen Normalität war immer die starke Hoffnung nach dem westlichen Wohlstand, so auch meine Erfahrung vor Ort in Osteuropa. Als Intellektueller sieht man das etwas anders, es lockt die Freiheit des Denkens und der Diskussion, der Zugriff auf die ganze Welt der Literatur etc..
      Klar haben auch die Rumänen gehofft schnell zu vergleichbaren Löhnen zu kommen. Aber Revolutionen sind kein Wohlstandsbeschaffungsprogramme und Kabelbäume binden ist eine recht unqualifizierte Tätigkeit. Eine Volkswirtschaft in den Wohlstand zu führen ist ein langwieriger Prozess - auch in der EU. Ohne die Schaffung entsprechender nationaler Strukturen und nichtkorrupter Institutionen kann es nicht funktionieren. Da hat Rumänien noch einiges vor sich. China hat ohne „neoliberale Übernahme“ dafür 40 Jahre mit niedrigsten Löhnen benötigt und ist immer noch nicht fertig.

    2. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Es geht nicht an erster Stelle um vergleichbare Löhne. Zumindest nicht, wenn man ,,seinen Krastev'' gelsenen hat. Deskriptiv ist es so, dass man in in Rumänien (als Beispiel) zur Auswanderung fast schon keine Alternative mehr sieht. Natürlich schaut man dann für seine Kinder nach Ländern wie Deutschland oder bis vor kurzem noch Großbritannien, z.B. Präskripitv oder normativ ist nicht die primär korrekte Lesart der Äußerung Krastevs, und generell seiner Aufsätze, wie ich sie verstanden habe. Es geht auch um Identitätspolitik. Die Identität wurde und wird einem in Bulgarien und Rumänien ein Stückweit genommen. Von West-Konzernen, wie ich bereits schrieb. Die Korruption wird von der EU nicht als Problem gesehen, bisher, bei der neoliberalen Übernahme. Im Gegenteil, solange es so gut läuft. Das muss man sich wie bei der Fifa, Uefa oder dem Grindel-DFB vorstellen. Oder noch schlimmer. Ganz aktuelle wird über einen Auschluss Orbans aus der EVP zumindest nachgedacht. Dragnea kann seit Jahren machen was er will, auch auf kommunaler Ebene. Solange ,,das Investitionsklima stimmt", ist der EU die Demokratie oder die Korruptionsfreiheit egal. Hunderttausende, nein, Millionen, demonstrieren in Rumänien meines Wissens seit 2015 gegen die Korruption. Sie werden von der EU allein gelassen. Dabei ist Rumänien das EU-freundlichste Land Europas. Noch! KEINE ,,recht unqualifizierte" Tätigkeit in der EU rechtfertigt den RUMÄNISCHEN Mindestlohn, wenn man ein deutsches Unternehmen ist. Ich schäme mich. Und soll das Beispiel China uns in der EU hoffnungsfroh stimmen? Wir brauchen Solidarität in Europa, keinen Zynismus. Und klare Kante: die Fidesz muss raus aus der EVP, die PSD raus aus der S&D und die Alde raus aus der ALDE.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Christine Köhler Ich hatte auch nicht hat auf Krastev geantwortet sondern auf Ihren Post und die dort genannten Löhne. Ja, es geht auch um Identitätspolitik. Aber die höheren Löhne sowie die Bedingungen dafür, dass müssen die Nationen selbst schaffen. Das hat schon im sozialistischen Rumänien nicht funktioniert. Es kann sein, dass die EU dafür nicht gut ist. Aber wir sind keine Kolonialmacht, die Politiker einsetzen und absetzen kann. Es haben dort demokratische Wahlen stattgefunden.

      Und ja, es haben in Rumänien Millionen gegen Korruption demonstriert - die auch von der EU immer wieder als Problem gesehen wird. Sie verschwindet nur nicht dadurch. Der Wandel muß tiefer gehen. Und von innen durchgesetzt werden. Und das Investklima stimmt eben überhaupt nicht, sonst gebe es dort höhere Löhne.

      Was soll das für eine Identität sein, die einem von deutschen Unternehmen genommen wird? Wäre das im Umkehrschluß heißen, dass sie durch diese Unternehmen auch gegeben würde, durch höhere Löhne?

    4. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Die ,,Kaufland-Lidl-OMV-Leoni Identität'' ist kein Ersatz für das, was man als Identität sich und seine Nachkommen imaginiert und wünscht. Das IST eine Form von ,,Kolonialmacht". Die Menschen haben nicht nur demonstriert, sie demonstrieren immer noch. Gegen die Justizreform. Man lässt sie allein damit. Man sagt, es sei ein Problem ,,von innen". Dabei gab/ gibt es eine Kontinuität ,,von oben'', vom rumänischen Sozialismus bis zur aktuellen PSD-Regierung. Korrupte, zynische, egomanische Altkommunisten. Das wird zu wenig/ nicht thematisiert. Auch von Ihnen! Aber es besteht auch kein Interesse, solange man das Land weiter ausplündern kann, scheint es. Danach zieht man weiter. Und suggeriert den Leuten weiterhin, sie seien ,,selber Schuld". Dabei haben diese Nationen schon so viel geschafft. Was sollen sie denn noch alles ,,selber schaffen"?! Rumänien z.B. hatte ZWEI Diktaturen, die Kooperation mit den Nazis/ die Einmischung von Berlin im Nationalsozialismus und danach die kommunistische Diktatur. Ähnliches gilt für die neuen Bundesländer. Wir ,,Westler" wissen gar nicht, was es bedeutet, bis 1989 in einer Diktatur gelebt zu haben. Westliche Ausplünderung, Arroganz und Zynismus brauchen Bulgarien, Rumänien etc. nicht. Verdient haben sie es auch nicht. Wem haben sie denn die verdammten ZWEI Diktaturen zu ,,verdanken"? Unter anderem auch deutscher ,,Großmannssucht"". Der zweite Weltkrieg hat viel zerstört und zerstört immer noch sehr viel, wenn wir so weiter machen. Krastev würde mir in vielen Punkten zustimmen, da bin ich sicher. Ich gehe davon aus, dass ich an Krastevs Kritik näher dran bin als Sie. Aber das bringt mir auch nichts. Ich fühle mich bei dem neoliberalen EU-Projekt klein, hilflos, machtlos und dumm. Und ich schäme mich. Ich weiß aus meiner Berufstätigeit in Rumänien, dass man sich gerade von den Deutschen Integrität und Ehrlichkeit erhofft. Wenn WIR schon bigotte Egomanen sind, DIE DEUTSCHEN, warum sollte man dann noch ,,an sich arbeiten"? Sich ,,von innen" verändern?! Man fühlt sich in diesen Ländern auch von den Deutschen allein gelassen und ausgenutzt. Der deutsche ,,Kampf gegen Korruption und für Demokratie" wird zur Ideologie, die man durchschaut. Mit Ideologien kennt man sich ja aus. Dann wird man eben PSD-Mitglied. Oder man wandert aus. In beiden Fällen lebt man so, wie man eigentlich nicht leben wollte. Danke EU.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Christine Köhler Entschuldigen Sie, ich bin kein „Westler“. Ich kenne den Ostblock vor der „Wende“ sehr gut und auch z.T. danach. Ich habe ein halbes Leben dort verbracht. Den Mechanismus, die Verantwortung nun „dem Westen“ zuzuschieben, den kenne ich sehr wohl, genährt wieder von einigen Westlern. Es geht nicht um Schuld, es geht um Verantwortung im eigenen Land. Das kann kein „Besserwessi“ (nicht gegen Sie gemünzt) übernehmen, so sehr er/sie auch imaginiert alles zu wissen und gleichzeitig an allem mit schuldig zu sein. Das finde ich etwas größenwahnsinnig.

      Das es in den Ländern sehr viel mehr alte Seilschaften gibt als noch in den neuen Bundesländern, ist auch klar. Gerade die Securitate hat tiefe Wurzeln. Was heißt, man läßt diese Länder allein? Wer genau ist man? Was genau stellen Sie sich vor?

      Am deutschen Vorbild soll der Osten genesen? Glauben Sie wirklich, wir wären was besseres? Da haben Sie vielleicht Krastev nicht wirklich verstanden. Ist das nicht auch arrogant?

    6. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Dass Sie den ,,Ostblock'' sehr gut kennen hätte ich nicht gedacht und finde ich sehr imponierend. Der Vorwurf, dass die Länder allein gelassen werden, bezieht sich auf Menschen wie Sie, wenn sie z.B. sagen, es seien ,,nationale Angelenheiten'', wenn gegen Korruption gekämpft wird. Und er bezieht sich auf die EU, die bei Orban sehr lange weggeschaut hat und die Dragnea/ die PSD nicht kritisiert. Oder die korrupten Oligarchen in Bulgarien. Dass der Osten ,,am deutschen Vorbild genesen soll'', denke ich gerade nicht, wie ich versucht habe zum Ausdruck zu bringen. Auch wenn die EU-Austeritätspolitik unter Schäuble den Anschein erweckt. Oder eben die neoliberale Übernahme der Länder wie Rumänien und Bulgarien durch westliche Konzerne. Als (West-)Deutsche sollten wir Individuen sein, die es ernst meinen mit der Demokratie und der Korruptionsbekämpfung. Damit alle ein Leben in Würde haben. Nicht für den Profit. Aber wenn Sie als ,,ost-sozialisierter Mensch" andere Wege kennen, soll mir das Recht sein. Schade, dass Sie Frau Assmann so wenig wertschätzen können. Aber Sie wissen es vielleicht einfach besser.

    7. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Christine Köhler Danke für die Antwort. Gleich zu Anfang, ich schätze Frau Assmann (und ihren Gatten) sehr, nur dieser Artikel hat mich nicht überzeugt. Ich halte die Erzählung von der „neoliberale Übernahme“ eher für eine Kampffloskel und nicht für eine Analyse. Wo genau hat den die deutsche Industrie das Land übernommen. Ich bin in den letzen Jahren zwei mal durch Bulgarien gefahren. Dort ist (fast) keine Industrie. Und was hat Lidl übernommen, die leeren Kaufhallen aus sozialistischen Zeiten? So einfach ist das nicht. Ich habe in der Wende an einem EU-Projekt mit gearbeitet - es ging um „Small and Medium Enterprise Development“ in westlichen Krisenregionen Deutschlands, Hollands GB, Belgiens. Selbst in diesen ehemals mit alten Industrien hochentwickelten Regionen hat es Jahrzehnte gedauert etwas neues in Keimen entstehen zu lassen. Und es geht nur mit sehr starken Initiative der Betroffenen - oder eben nicht. Italien hat sein Mezzogiorno immer noch nicht im Griff.

      So ganz allein gelassen wurden die „Ostnationen“ ja auch nicht, es gab unzählige Programme und viele gutwillige Helfer. Es wurde auch immer auf die notwendige Demokratisierung etc. hingewiesen, darauf bestanden. Man muß nur aufpassen, das diese Hilfsversuche nicht als Bevormundung verstanden werden. Das ist ja eine Erklärungslinie bei Krastev. Und wir Deutschen (in guter Absicht) scheinen anfällig zu sein für die Ansicht: Wir müssen helfen, allein „können“ die das nicht. Nein, ein „Leben in Würde“ (was auch immer sich dahinter versteckt) muß erkämpft werden. Und das in den Ländern und zwischen den politischen Kräften, den mehr oder weniger Korrupten dort. Viele empfinden nämlich einen geschenkten „Wohlstand“ oder vorgeschriebene Strukturen als unwürdig. Viele Ostdeutsche sind trotz gestiegenen Wohlstandes mit der D-Mark nicht glücklich geworden.

      Vielleicht hätte man die südlichen Länder nicht aufnehmen sollen, mag sein. Nun aber sind sie drin in der Union. Was also soll die Union tun gegen Orban oder Kaczynski? Orban ist der demokratisch gewählte Führer Ungarns (auch wenn wir seine Politik nicht mögen), Polens Regierung ist ebenfalls legitimiert. Die Kommission ist keine Überregierung, es herrscht das Einstimmigkeitsprinzip.

      Ich weiß auch keinen besseren Weg, schon gar keinen idealen. Gesellschaften sind immer imperfekt. Evolution geht nur über Versuch und Irrtum. Wahrscheinlich wäre mehr Geduld, realistisches Augenmaß und weniger Hysterie gut. Man sollte nicht ständig betonen, was noch nicht ideal ist. Sondern auch mal sehen, was schon erreicht wurde.

    8. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Sehr geehrter Herr Wahl, wenn Sie sagen, dass ein ,,Leben in Würde, was auch immer das heißen mag, erkämpft werden" müsse, so erlauben Sie mir bitte, Sie zu fragen, welche Kämpfe Sie persönlich bisher erfolgreich bestanden haben. Haben Sie an einer der 1989er Revolutionen teilgenommen? Erlauben Sie mir außerdem den Hinweis, dass Westdeutsche nach '45 nicht mehr alleine ,,kämpfen'' mussten, sondern vom Marhallplan und britischen Demokratisierungsprogrammen unterstützt wurden. Im Falle Rumäniens möchte ich darauf hinweisen, dass 1989 viele Menschen starben. Es wurde gekämpft. Außerdem gibt es begründete Vermutungen, dass es sich um einen Putsch gehandelt hat (der die aktuelle ,,Kleptokratie" an die Macht brachte): ,,Jetzt hoffen viele Menschen in Rumänien, dass es endlich gelingt, die Verantwortlichen der nationalen Tragödie zu identifizieren. Wenn sich der Verdacht der Generalstaatsanwaltschaft bestätigt, dass die neuen Machthaber jener Zeit die Schuld für die blutige Niederschlagung des Volksaufstands tragen, könnte es schon bald zu einer der spektakulärsten Anklagen in der rumänischen Geschichte kommen.'' https://www.dw.com/de/... Sie bezeichnen den Neoliberalismus-Vorwurf als ,,Kampfbegriff". Crina Boros hat sehr konkret herausgearbeitet, was darunter verstanden werden kann, wenn man sich darauf einlässt: ,,Schätzungen der Interessenvertretung Asociaţia Conect zufolge ist der Anteil der Arbeiter, die Mitglied in einer Gewerkschaft sind, von fast neunzig Prozent im Jahr 1991 auf rund zwanzig Prozent der Belegschaften im Jahr 2015 zurückgegangen.
      Zu dieser Entwicklung beigetragen haben auch große multinationale Konzerne. […]
      Unterdessen räumt der Foreign Investors Council ein, ebenfalls bei der Erarbeitung der „Reformen“ behilflich gewesen zu sein. […] Der FIC reichte seine Vorschläge 2010 ein und forderte unter anderem eine Erleichterung von Kurzzeitverträgen, insbesondere von befristeten und sogenannten Zero-Hour-Verträgen. Bei Letzteren ist eine Mindestarbeitszeit von null Stunden vertraglich festgelegt. [...] Die Unternehmen müssten keine langfristigen Verträge mehr mit ihren Angestellten eingehen, sondern könnten diese – nur einen Tag im Voraus – per SMS für die benötigte Arbeitszeit einbestellen. […]
      Das System der Tarifverhandlungen wurde durch das neue Gesetz „zerschlagen“, klagt Petru Dandea. Seit 2011 seien vier Fünftel aller Lohnverhandlungen, die auf Unternehmensebene stattfanden, ohne legitime Vertretung der Beschäftigten abgeschlossen worden. Nun erhalte nahezu ein Drittel aller Beschäftigten den Mindestlohn: mehr als 1,8 Millionen, wenn Freiberufler mit eingerechnet werden. „Wir werden bezahlt, als wären wir ein Land von unqualifizierten Arbeitern“, beschwert sich der Gewerkschafter.
      Die Europäische Kommission hat genau diese Entwicklung nach Kräften unterstützt. […]‘‘
      […]„Vertreter sowohl der Unternehmerseite als auch der Gewerkschaften glauben, dass Rumänien von ausländischen Investoren mit Unterstützung der sogenannten Troika als ,Versuchskaninchen‘ genutzt wurde, um Tarifverträge radikal zu dezentralisieren“, so eine Studie des European Journal of Industrial Relations von 2016, die von der Sozialwissenschaftlerin Aurora Trif von der Dublin University verfasst wurde.
      https://www.freitag.de... [in diesem Artikel wird auch Lidl kurz erwähnt] Es grüßt Sie eine Deutsche, der vieles geschenkt wurde und die dankbar ist.

    9. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      @Christine Köhler Auch bei Greffraths Rumänienreportage findet sich Kritik an der neoliberalen EU-Politk, auch wenn der ,,Kampfbegriff" gar nicht fällt. Es wird ganz konkret beschrieben und kritisiert, wie man nach ,,Versuch und Irrtum" weiter auf ,,Irrtum" setzt, des Profites wegen, nicht der Menschenwürde wegen:

      ,,Wir hätten mehr tun können“, sagt er, „aber jetzt ist es auf der Kippe. Um 1900 hatten wir wenige Großagrarier und viele kleine Selbstversorger und eine stagnierende Kultur – keine Vergangenheit also, zu der man gern zurückmöchte. Und jetzt haben wir genau dasselbe wieder.“
      Mehr Menschen als in jedem anderen Land der EU leben in Rumänien auf dem Lande – 40 Prozent, vielleicht sogar über 50 Prozent der Bevölkerung; die meisten von ihnen bestellen vielleicht einen Garten, ein kleines Feld. Sie halten sich gerade so über Wasser; sind alt, sie werden bald sterben, man braucht keine Strukturpolitik für sie, man muss sie bei der Stange halten, damit sie wählen – das klingt zynisch, aber so scheint es zu laufen.
      Ungefähr die Hälfte des nutzbaren Landes ist inzwischen in den Händen von zumeist ausländischen Investoren. Schweizer, Holländer, Deutsche. Aus Hamburg hat mir eine Firma Agrarius einen schönen Prospekt zugeschickt: „Wachstum, soweit das Auge reicht“, steht vorne drauf, und Wachstum heißt hier Rendite, heißt: Ackerland bringt mehr als der DAX; heißt: immer noch kostet ein Hektar dort ein Viertel von dem, was man in Westeuropa zahlen muss; heißt: die Nachfrage nach Nahrung wird wachsen. Und das heißt: mit dem fruchtbaren Land kaufen Sie auch noch EU-Fördermittel.
      Und das heißt: eine sichere Staatsrente für die Eigentümer von Agrarland durch die Gießkannenpolitik der EU: 170 Euro pro Jahr für jeden Hektar beträgt die Subvention in Rumänien – das macht Land- und Forstwirtschaft zu einem Bombengeschäft: selbst bei einem Hektarpreis von 5.000 Euro gibt es mehr als drei Prozent Rendite, auch wenn die ganze Ernte verdirbt, auch wenn der Traktor nur einmal über den Acker fährt. Und das wirft ein Licht auf die unsägliche, überholte und ökologisch wie kulturell destruktive Agrarpolitik der EU, die den großen Unternehmen mehr als genug gibt – Wasser in die Brunnen schüttet, wie ein Aktivist erbost sagt – und den Kleinen zu wenig zum Überleben. [...]''
      https://www.deutschlan...

    10. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Christine Köhler Uff, viele Fragen und Probleme auf einmal. Schaffe das die nächsten drei Tage nicht. Aber dann .... ;- )

    11. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Solange wie es eben dauert! Schönes Wochenende!

    12. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Christine Köhler Ähnliche Sicht auf Europa ....
      https://www.facebook.c...

    13. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Warum sollte man in Deutschland höhere Löhne zahlen, wenn man doch rumänische Ärztinnen und Ärzte ,,abziehen kann"... (Brain drain Rumäniens :-( ...) - so werden die Arbeitenden der Länder gegenseitig in Konkurrenz gebracht, Lohndrückerei etc. ... da rufe ich natürlich laut nach internationaler/ europaweiter/ EU-weiter Solidarität, was für Sie eher wieder nur ein ,,Kampfbegriff'' ist ...

    14. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Christine Köhler Es ist immer schwierig so unterschiedliche Weltsichten und Erfahrungen miteinander zu diskutieren und die seinige halbwegs differenziert rüberzubringen.

      Zuerst - mit erkämpfen habe ich nicht zuerst jeden einzelnen gemeint, sondern die politischen Kräfte. Das in Rumänien mit hohem Einsatz gekämpft wurde ist klar. Aber offensichtlich wurde noch nicht von ihnen und anderen erhoffte Ideal erkämpft. Ja, das große Teile der alten Elite mit der SECURITATE die Revolution manipuliert haben (wenn nicht gar inszeniert), ist auch bekannt. Das ändert nichts daran, dass die Aufgabe für ein gutes Leben weiter besteht. Revolutionen oder besser Revolten haben eigentlich nie schnell zu Wohlstand oder Demokratie geführt - eher im Gegenteil. Das zu realisieren bedarf sehr langfristiger Prozesse - die Mühen der Ebene wurde so schön gesagt im Sozialismus. Er hat es nicht geschafft, wir haben es im Osten nicht geschafft.
      
Sicher besteht der Kampf der politischen Kräfte aus den Kämpfen vieler Einzelner. Man bildet Netzwerke, Parteien oder kämpft einsam für sich. Im Grunde war das auch in der DDR nicht anders. Nur mit der Gründung von offiziellen Organisationen und offener Opposition war nichts.
      Ich bin Jahrgang 1953, in einem vom Sozialismus überzeugten Elternhaus groß geworden, die DDR war die Heimat meiner Jugend. Ich war kein „Regimegegner“., wenn Sie das meinen. Aber in den späten 70ern und erst recht in den 80ern war klar, die sogenannte Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik wird nicht funktionieren. Wir werden den Systemkampf verlieren, wenn wir nicht eine andere, innovative Wirtschaftspolitik mit Öffnung nach Westen einführen. Ohne höhere Gewinne und höhere Investitionen, die Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der Unternehmen ist höherer Wohlstand und auch eine politische Öffnung, mehr Freiheit nicht möglich. Dafür habe ich unter anderem gekämpft, mit vielen blauen Flecken. In der Wende saß ich für den akademischen Mittelbau am runden Tisch meiner Universität. Eine sehr ernüchternde Erfahrung. Im Grunde haben wir uns als Ossis selbst aus dem Rennen um die Zukunft genommen. Es war auch klar, das die Währungsunion die Volkswirtschaft ruinieren wird und ein großer Teil der Bürger seine Arbeit verliert. Da halfen auch keine 100% in der Gewerkschaft. Wenn man das auf der Strasse oder in der Kneipe gesagt hat, da wurde einem schnell Prügel angedroht. Die alte „Elite“ war nicht gefragt, man wollte Wessis, die ja auch kamen - solche und solche. Nein, die Ossis sind keine Opfer, sie hatten eine Wahl. Und die westlichen Gewerkschaften haben dann mit den hohen Lohnangleichungen den DDR-Betrieben noch den Rest gegeben. Es gab natürlich auch Schweinehunde und Glücksritter.

      Insofern kann ich die einseitige Wahrheit nicht bei den Gewerkschaften sehen. Die haben eigene Interessen und müssen hohe Löhne fordern (zumindest meinen sie dies). Auf der anderen Seite rücken Unternehmen auch nicht gern mehr raus, als sie müssen. Ich hab gelesen, dass die Durchschnittslöhne und auch der Mindestlohn in Rumänien trotzdem stark gestiegen sind, Qualität und Produktivität steigt, die Wirtschaft wächst. Der Kampf geht also weiter. Die niedrigen Löhne hatten ja ihren Ursprung nicht in den westlichen Konzernen sondern in der veralteten und unproduktiven Industrie und Landwirtschaft im Sozialismus. Und die Löhne sind nicht durch die Konzerne gesunken. Das man höhere möchte, das verstehe ich - also weiter machen. Aber Profit und Menschenwürde sind keine absoluten

    15. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl sind keine absoluten Gegenpole. Eine Wirtschaft, ein Unternehmen, dass mit Verlust agiert kann der Gesellschaft keine Menschenwürde bringen. Gewinn ist notwendig, wem auch immer das Unternehmen gehört. Und diese ständige Unterstellung es geht „nur um Profit“ ist reine Ideologie. Auch wenn es Beispiele gibt. Das Kapital braucht zahlungsfähige Bevölkerung, trotzdem das nicht jedes einzelne Unternehmen wahrhaben will. Nach meiner Erfahrung sind allerdings Kapitalisten viel lernfähiger als Sozialisten ...... ;-)

      Über die Sinnhaftigkeit der europäischen Agrarpolitik müssen wir nicht streiten, die hat so keine Zukunft. Aber auch die Subsistienzlandwirtschaft der vielen und alternden rumänischen Kleinbauern nicht. Also muß man weiter nach Lösungen suchen. Gibt es keine Genossenschaften? Die Bulgaren erzählten mir, das dies dort versucht wird.

      Übrigens, wenn Sie etwas über ostdeutsche Kämpfe sehen wollen, es gab zwei interessante Filme in jüngster Vergangenheit:
      Gundermann. und
      Die Familie Brasch

    16. Christine Köhler
      Christine Köhler · vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Hab' den Gundermann gesehen! Den zweiten Tipp recherchiere ich, danke (geht es am Ende um Thomas Brasch?!)! Danke für Ihre ausführliche Antwort und Analyse. Unsere Standpunkte sind wohl nirgends kongruent, sondern eher komplementär zu sehen: Im Zweifelsfall würde ich lieber ,,Kommunist" als ,,Kapitalist" geschimpft, und bei Ihnen ist es sicher umgekehrt. (Auch bei Herrn Krastev haben wir dann wohl eher komplementäre Lesarten. Wir lesen jeweils das, was wir lesen möchten.) Vielleicht ist es mir ja besonders wichtig, kein typischer ,,Wessi" zu sein und Ihnen, kein typischer ,,Ossi" zu sein. Und auf die Art sind wir dann auch wieder typisch .. In gewisser Hinsicht hätten wir dann vielleicht mehr gemeinsam als uns lieb ist ... Alles Gute!

    17. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      @Christine Köhler Thomas Brasch ist ja nur einer von vier Kindern ....

    18. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      Nur zur Kenntnis:
      https://www.merkur-zei...

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