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Europa

Europa vor der Wahl - wohin driftet Polen?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSamstag, 13.04.2024

Anläßlich der Wahl zum Europaparlament berichten in dem Gemeinschaftsprojekt "Voices of Europe" 27 Medien aus der EU (koordiniert von Voxeurop) aus den Mitgliedsländern der Union. Das ist ein eminent wichtiges Vorhaben, sind doch viele der kleineren und neueren Mitglieder zu wenig in unserem Blickfeld. Was wissen wir z.B. über die politischen oder sozialen Bewegungen in Rumänien, der Slowakei, Bulgarien oder selbst in Griechenland? Länder, die mit uns eine Union bilden, Nationen mit Sitz und Stimmen in dieser Gemeinschaft.

Eigentlich sind die Berichte nur für Abonnent*innen von Voxeurop zugänglich. Der aktuelle Artikel zu Polen ist jedoch offen zugänglich und soll daher empfohlen werden. 

Polen hat hier auch eine Besonderheit - die bevorstehende EU-Wahl ist die dritte von vier Wahlen, in der es darum geht, die Kontrolle über die staatlichen Institutionen von der PiS-Partei zurückzugewinnen. "Prawo i Sprawiedliwość", zu deutsch "Recht und Gerechtigkeit", stellte von 2005 bis 2007 sowie von 2015 bis zum Dezember 2023 die polnische Regierung. Sie gibt sich nationalistisch, klerikal-konservativ sowie christdemokratisch und gilt als rechtsradikal  bzw. (rechts-)populistisch. 
Auf europäischer Ebene war die PiS bis zur Europawahl 2009 führendes Mitglied der nationalkonservativen Europapartei Allianz für ein Europa der Nationen (AEN) und der Europaparlamentsfraktion Union für ein Europa der Nationen (UEN). Danach beteiligte sie sich an der Gründung der neuen konservativ-europaskeptischen Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR) sowie der Partei Allianz der Konservativen und Reformer in Europa (ACRE).

Die Stärke der polnischen PiS-Fraktion wird also mit entscheiden, wie konservativ-europaskeptisch das nächste Europäische Parlament sein wird. Und die jüngsten Kommunalwahlen in Polen zeigten ein sehr gemischtes Bild:

Die nationalkonservative PiS-Partei gewinnt in Polen die nächste Wahl in Folge - zumindest rein rechnerisch. Denn das Ergebnis gibt nicht unbedingt die realen Machtverhältnisse wieder: Die PiS hat laut Prognosen in nur sechs von 16 Landtagen gewonnen. Allerdings deutet wenig darauf hin, dass die PiS in absehbarer Zeit politisch unbedeutend wird. Im Vergleich zur Parlamentswahl 2023 hat die Partei kaum an Unterstützung verloren - selbst ohne die Propaganda, die sie vor ihrer Abwahl im Staatsrundfunk TVP verkünden konnte. 

Das Positive bei den Ergebnissen der Kommunalwahlen:

Die Bürgerkoalition gewinnt in zehn der 16 Landtage und dürfte keine Probleme haben, Mehrheiten in den Parlamenten zu bilden. In den Städten hat das Bündnis weiterhin die Nase vorn, in vielen größeren wird sie erwartungsgemäß die Oberbürgermeister stellen, darunter in Warschau und in Danzig. Das Gesamtergebnis zeigt aber, dass die Partei von Premier Donald Tusk seit der Parlamentswahl kaum neues Wählerpotenzial entwickelt hat und weiterhin nicht in der Lage ist, ohne weitere Bündnispartner die PiS zu schlagen.

Für die Wahlen zum EU-Parlament könnte man heute erwarten, dass die Zivile Koalition (Teil der Mitte-Rechts-Partei Europäische Volkspartei, EVP) auf dem ersten Platz landet, mit etwa einem Drittel der Stimmen. 

Recht und Gerechtigkeit (als Teil der souveränistischen ECR-Fraktion) würde mit etwa einem Viertel der Stimmen auf dem zweiten Platz liegen. Der dritte Platz würde entweder an den Dritten Weg (EVP plus der liberale Block Renew), die Neue Linke (S&D, Mitte-Links) oder die rechtsextreme Konföderation (ID) gehen. Sollte es tatsächlich zu diesem Ergebnis kommen, würde die Zahl der polnischen Abgeordneten in den Fraktionen der EVP und der Renew zunehmen, während die Zahl der Abgeordneten in der ECR abnehmen würde. Entgegen dem Trend in den meisten EU-Ländern würden die polnischen Wähler heute mehr Vertreter der Mitte und weniger Vertreter der Rechten wählen als bisher.

Wobei Voxeurop meint,  dass sich die Debatten und die Entscheidungen damit nicht unbedingt in die politische Mitte verlagern werden. Bei bestimmten Themen wie Umwelt oder Migration ist es wahrscheinlicher, dass die politische Mitte eher nach "rechts" tendiert, wenn man dem Rechts-Links Schema folgen möchte.

So wehren sich polnische Landwirte gegen den Import von Produkten aus der Ukraine und gegen Regelungen des EU Green Deal.

Ihre Proteste erfreuen sich einer so breiten öffentlichen Unterstützung, wie es sie seit dem Ende des Kommunismus in Polen nicht mehr gegeben hat. Laut einer Ipsos-Umfrage für Oko.press und TOK FM, die in der letzten Februarwoche durchgeführt wurde, unterstützen 78 % der Polen die Bewegung.

Ein ähnlich brisantes Thema ist die Grenz- und Migrationspolitik. Die PiS punktet immer noch mit dem Vorwurf gegen die aktuellen Regierungsparteien, diese würden sich dem „Diktat aus Brüssel” unterwerfen und die polnischen Grenzen für die irreguläre Migration öffnen wollen. 

Die Bürgerliche Koalition verteidigt sich damit, dass ihre Vorgänger für die irreguläre Migration verantwortlich seien und dass die neue Regierung versuche, die Grenzen dichtzumachen, indem sie deren Fehler korrigiere. Die Regierung hat zwar die Sprecherin des Grenzschutzes ausgetauscht, setzt aber ansonsten die Agenda ihrer Vorgängerin fort, wobei sie behauptet, dass nur noch „ethische Pushbacks” durchgeführt werden.

Polens Linksliberale stehen also vor dem gleichen Dilemma wie die in fast alle anderen EU-Ländern - die Realität, das Volk, der Zeitgeist widerstreben den Idealen.

Die diesjährigen Wahlen zum Europäischen Parlament in Polen (und wohl nicht nur da - Th.W.) sind also von einem Paradox geprägt. Was die Stimmen und Sitze im Parlament angeht, wird es eine Verschiebung von der Rechten hin zur Mitte geben. Aber was den politischen Diskurs und die Positionen der polnischen Regierung im EU-Rat betrifft, wird sich der Schwerpunkt immer stärker nach rechts verlagern.


Europa vor der Wahl - wohin driftet Polen?

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Kommentare 1
  1. David Simeth
    David Simeth · vor 7 Monaten

    Der pick verlinkt auf die Übersichtsseite mit allen Beiträgen zur Europawahl. Hier nochmal der Link direkt zum polnischen Beitrag:
    https://voxeurop.eu/de...

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