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Europa

Die Wahlergebnisse in der Türkei erschüttern die Opposition

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlMontag, 15.05.2023

Das Volk hat gewählt, die Regierung zählt - so Stand und Methode bei den türkischen Präsidentschaftswahlen. Insofern basieren die ersten Äußerungen und Zahlen auf vorläufigen Meldungen und Ergebnissen. Aber die mit viel Hoffnung gegen Präsident Erdogan angetretene Opposition zeigt sich erschrocken und niedergeschmettert. Mir geht es nicht viel anders. Deniz Yücel, ein deutsch-türkischer Journalist und Publizist, in der Türkei verurteilt wegen "Terrorpropaganda, schreibt dazu erschüttert:

Nach aller Korruption und Vetternwirtschaft, nach Massenverarmung und Inflationsraten von bis zu 70 Prozent, der drangsalierten Meinungsfreiheit und dem Abbau des Rechtsstaates, nach dem offensichtlichen staatlichen Versagen beim verheerenden Erdbeben, in der Vorsorge wie in der Bergung der Überlebenden, liegt Erdogan nach den letzten amtlichen Zahlen knapp unter 50 Prozent. Das würde eine Stichwahl erforderlich machen, in die er (Erdogan) nach Zahlen als Favorit ginge.

Er sieht das Ergebnis, selbst wenn es noch etwas korrigiert würde, als einen großen Erfolg für Erdogan. Offensichtlich sieht ein großer Teil der Türken ihn trotz der desaströsenm Regierungsbilanz als "Heilsbringer, wenn nicht gleich als Gesandten Allahs." Auch seine Partei, die AKP, ist mit 35% (am Morgen) noch immer stärkste Partei.  Auch wenn das ihr schlechtestes Ergebnis nach ihrer ersten Wahl im Jahr 2002 ist. Ohne eine wirkliche Zukunftserzählung haben Erdogans Mittel  

gereicht, um ihn in die zweite Runde zu tragen: das Dämonisieren des politischen Gegners, ohne Skrupel vor Lügen und Diffamierungen aller Art, das ständige Schüren von Ängsten – vor dem Terrorismus, den Kurden, den Homosexuellen, dem Westen – und die aggressive Identitätspolitik, mit der Erdogan jede Wahl zu einer Abstimmung zwischen „Gläubigen“ und „Ungläubigen“ umfunktioniert. Dazu ein paar Almosen aus Mitteln, um die man jahrelang die Bevölkerung geplündert hat, und schon rückt die nächste Amtszeit in greifbare Nähe.

Was wieder einmal Grenzen und Verwundbarkeit der Demokratie aufzeigt. Völker handeln nicht einfach entsprechend objektiver Interessen und sie sind leicht manipulierbar, wenn auch nicht komplett. In der "Zeit" berichtet  Michael Thumann über einen weiteren Aspekt dieser Wahlen - die Manipulationen:

Das Wahlergebnis widerspricht in schon herausfordernder Weise den Umfragen vor der Wahl. Schlimmer noch, hinter der Türkei liegt eine Nacht der mutwilligen Beschädigungen der demokratischen Wahl. 

Er nennt auch Beispiele dafür:

  • So wurden in Bezirken, die traditionell CHP wählen, die Auszählung von AKP-Vertretern unter Vorwänden verzögert. …. "Dadurch konnten die Ergebnisse aus den AKP-Hochburgen zuerst einlaufen – und es entstand zu Beginn des Wahlabends der Eindruck eines überwältigenden Siegs Erdoğans."
  • "In den mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebieten in der Osttürkei kam es zu massiven Einschüchterungen der Wähler durch die Polizei. Hunderte von Wählern wurden ohne ihr Wissen zu Wahlauszählern gemacht, damit sie nicht wählen konnten. Zählen durften sie dann aber auch nicht."
  • "An verschiedenen Orten der Türkei kam es zu Schlägereien. Erdoğans Unterstützer und ihre Verbündeten versuchten, mehrfach zu wählen, CHP-Beobachter auszuschließen, die Urnen unter Kontrolle zu kriegen."
  • OSZE-Beobachter wurden in verschiedenen Bezirken nicht in die Wahllokale gelassen, die Polizei setzte sogar manche von ihnen fest. Womit eine effektive und flächendeckende Wahlbeobachtung verhindert wurde.

Es steht zu befürchten, dass sich das in der Stichwahl fortsetzen wird. Werden wir es also weitere Jahre mit einer zerfledderten säkularen (türkischen) Republik  sowie
einer Mischung aus Gangstertum und Islamfaschismus und extremem Nationalismus
zu tun haben, wie es Deniz Yücel formuliert? Es sieht fast so aus. Die Hoffnung stirbt zu letzt.


Die Wahlergebnisse in der Türkei erschüttern die Opposition

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Kommentare 6
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

    Die Analysen von Deniz Yücel (und anderen auch) werden nicht erfreulicher mit der Zeit:
    "Schwer wiegt folgender Befund vom Sonntag: Ja, es herrschte eine neue Tiefenströmung. Aber die entscheidende war nicht, anders als viele Beobachter – auch ich – glaubten, die Stimmung gegen Erdogan. Entscheidend war eine ultranationalistische Strömung, die sich in beiden großen Blöcken wie im Ogan-Lager findet.

    Der ausschlaggebende Teil der türkischen Wähler kümmert sich weniger um Inflation und Verarmung, um Arbeitslosigkeit und Währungskrise, um Rechtsstaatlichkeit und Ein-Mann-Regime, um Korruption und Verstrickungen der Regierung mit der organisierten Kriminalität, um die Verschmelzung von Staat und Partei. Sie treibt ein starker bis extremer Nationalismus an. Hinzu kommen die radikal-islamistischen Parteien, die im Gefolge der AKP ins Parlament gezogen. Das heißt so oder so: keine guten Aussichten für die Zukunft von Demokratie und Grundrechten in der Türkei."

    https://www.welt.de/de...

  2. Hermann J. F. König
    Hermann J. F. König · vor mehr als ein Jahr

    Es war doch zu erwarten, oder?

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      Ehrlich gesagt hatte ich gedacht/gehofft, die Türken haben mehrheitlich die Nase voll von dem Typen.

  3. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

    Siehe auch hier:
    https://m.facebook.com...

  4. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Noch kämpft die Opposition.

    Aber es droht nach Deniz Yücel eine Entwicklung, wo sich Erdogan mit Kräften verbindet:

    "die bereits dafür gesorgt haben, dass die Türkei die einst in Istanbul beschlossene Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aufgekündigt hat. Und die noch radikalere Forderungen stellen: Man will Gesetze zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch schleifen, sodass schariakonform auch Kinder verheiratet werden können, man will Homosexualität strafrechtlich verfolgen etc. Es ist ein Bündnis gegen die Frauen und gegen den Laizismus, das die absolute Mehrheit im Parlament errungen hat."

    Die Welle des Autoritarismus scheint weiter zu gehen.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      Ja, erschreckend …..

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