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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Sind unsere westlichen Gesellschaften wirklich so gespalten wie zunehmend behauptet wird? Und wenn ja, welche betrifft es besonders und warum? Oder ist das nur ein „Mythos“? Der anhand von Beispielen und verschiedenen Streitthemen versucht wird zu untermauern? Immer mit hohen Erregungswellen in Politik und Medien. Auch bei Piqd haben wir auf solche Fragen schon verwiesen.
Ein Team von Wissenschaftlern um den Soziologen Steffen Mau hat nun jüngst die Einstellungen zu aktuellen Reizthemen quer durch alle Schichten in Deutschland untersucht. Das Medienecho war groß, hier "Die Welt" dazu:
Die Soziologen ließen über 2500 Bundesbürger ab 16 Jahren für eine repräsentative Studie befragen und Teilnehmer in mehreren Diskussionsgruppen in Berlin und Essen aufeinandertreffen. Mit „Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft“ stellen die Wissenschaftler nun ihre überraschenden Ergebnisse vor. Gibt es einen gesellschaftlichen „Rechtsruck“? Verkörpern der „alte weiße Mann“ und die Boomer den Rückschritt? Ist die Arbeiterklasse gefangen in einem trüben Sumpf aus Fremden- und Queerfeindlichkeit? Nichts davon stimmt, so Mau, Lux und Westheuser. Die Studie erschüttert zahlreiche Gewissheiten über die „Kulturkämpfe“, sowohl des moralisierenden Jargons des Linksliberalismus als auch der Rechten. Es ist die dringend nötige Korrektur eingeschliffener Debatten durch Empirie.
In ihrem aus den Analysen bei Suhrkamp erschienenen Buch schreiben die Autoren:
Trotz der jüngsten Prominenz dieser Thesen gehört das Bild eines Auseinanderfallens der Gesellschaft in gegensätzliche Blöcke seit Langem zum Repertoire der Zeitkritik. So erklärte Marx die sozialen Kämpfe seiner Zeit durch die Grundspannung des Kapitalismus. Als Kamelhöcker treten hier soziale Klassen auf, die durch ihr Eigentum an Produktionsmitteln und ihre Position in der Produktionssphäre bestimmt sind. Im Spiel der kapitalistischen Kräfte, so prophezeite es das Kommunistische Manifest, würden »Zwischenklassen« nach und nach zerrieben. Übrig blieben zwei antagonistische Hauptklassen, verkörpert durch die Gruppen der Besitzenden und der Lohnabhängigen. Dieses schismatische Zwei-Klassen-Modell war lange Zeit eine der wirkmächtigsten Polarisierungsdiagnosen in den Sozialwissenschaften.
Bekanntlich ist es nicht ganz so gekommen. Das "Neue Deutschland" bringt nun hierzu ein Interview mit Steffen Mau, das erfreulicherweise nicht hinter der Bezahlschranke steht und auch daher hier empfohlen wird.
Mau charakterisiert den Grad der gemessenen gesellschaftlichen Spaltung in Deutschland als "Dromedargesellschaft" und eben nicht als "Kamelgesellschaft" .
Beim Kamel haben wir zwei Höcker, dazwischen ist ein großer Graben. Hier stehen sich zwei gesellschaftliche Großgruppen gegenüber, die Differenzen erscheinen unüberbrückbar. Beim Dromedar gibt es einen großen Hügel, die Ränder laufen aus und sind deutlich kleiner.
Kamelgesellschaften findet man eher in Staaten mit Mehrheitswahlrecht sowie Zwei-Parteien-Systemen wie in Großbritannien oder in den USA und weniger in Ländern mit Verhältniswahlrecht. Beim Mehrheitswahlrecht gewinnt immer der Kandidat mit den meisten Stimmen das Mandat. Koalitionsregierungen sind daher eher unüblich, es dominieren wenige große Parteien. Mehrheitswahlrecht fördert also Polarisierungen und passt nicht mehr richtig zu den vielfältig ausdifferenzierten modernen Gesellschaften.
Aus dieser Ausdifferenzierung und Vielfalt folgt nach Mau auch, dass die traditionelle Aufteilung in ein rechtes und ein linkes politisches Lager nur noch bedingt zeitgemäß ist. Die historisch bekannten absoluten Spaltungsdiagnosen, wie sie etwa Marx theoretisch untermauert hat, verlieren demnach an Relevanz.
Die Diagnose, nach dem wir in einer gespaltenen Gesellschaft leben wäre also zu pauschal:
Wir leben in einer emotional aufgewühlten Gesellschaft mit vielen neuen Konflikten. Wir haben radikale Ränder. Aber deshalb ist unsere Gesellschaft noch nicht gespalten. Die meisten Leute gruppieren sich in der breiten Mitte.
Auch wenn heute der Rechts/Links-Konflikt noch den politischen Raum strukturiert, ist der Grundkonflikt weniger dominant.
Es sind neue Konflikte hinzugetreten, Themen wie Migration, Klimawandel oder sexuelle Diversität machen die Lage komplizierter. Wir sehen in den politikwissenschaftlichen Analysen, dass es im Vergleich zu früheren Urnengängen mehr Wählerwanderung beispielsweise zwischen der SPD, den Grünen und der CDU/CSU gibt, sich also die Fronten etwas aufgeweicht haben. Neu ist in Deutschland aber der Aufstieg einer rechtspopulistischen und in Teilen rechtsradikalen Partei, der AfD. Dadurch sind neue Reibeflächen in der politischen Auseinandersetzung entstanden.
Insofern scheint die starke gesellschaftliche Spaltung auch etwas medial und politisch herbeigeredet?
Es gibt eine »Spaltung in den Köpfen« oder eine »gefühlte Polarisierung«, die das tatsächliche Auseinanderdriften der Gesellschaft überbetont. Die Menschen sind bei vielen Themen näher beieinander und weniger kompromisslos als man angesichts der öffentlichen Debatten meinen könnte. Statt einer Spaltung in der Mitte haben wir eine Radikalisierung des Randes.
Das erscheint mir durchaus einleuchtend. So wird die Stärke und Richtung einer beobachteten Polarisierung auch von der Blickrichtung und Fragestellung der Analyse abhängen. In einem etwas früheren Interview in "Soziopolis" sagte Mau dazu:
Beschäftigt man sich politikwissenschaftlich mit Polarisierungsphänomenen, wird in der Tat eine Veränderung des Parteiensystems in der gesamten westlichen Welt mit einer größeren Bedeutung von Parteien erkennbar, die entweder universalistische Überzeugungen vertreten und ökologische Fragen thematisieren oder ethno-nationalistische Schließungen propagieren wie die AfD oder Lega Nord. Das sind zweifelsohne neue Erscheinungen jenseits des alten Schemas links-rechts oder Kapital-Arbeit. In den Elektoraten ist eine Reorganisation der Wählerschaft und Wählerströme zu beobachten, bis hin zu dem Punkt, an dem manche sagen, die AfD sei die neue Arbeiterpartei und spreche vor allem die unteren Schichten an. Wenn man jedoch soziologisch fragt, wie sich Leute zu Sachthemen positionieren, zu zentralen gesellschaftlichen Fragen – Migration, Anerkennung sexueller Diversität, Gleichstellung von Mann und Frau – dann ist die Lage viel unübersichtlicher. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen erlauben es nicht ohne Weiteres, die Leute dem einen oder anderen Camp zu zuordnen. Da finden sich keine scharf konturierten, klar einander gegenüberstehenden Lager. Und es lässt sich auch keine, wie man früher gesagt hätte, klare soziale Standortgebundenheit der Positionen feststellen, etwa in dem Sinne, dass es ein kosmopolitisches Oben und ein kommunitaristisches Unten gebe.
Insofern findet die Forschungsgruppe auch keine Aufspaltung in zwei klar zu unterscheidende Lager und auch keinen strikt trennenden Graben zwischen Bevölkerungssegmenten.
Es mag einen kosmopolitischen und einen kommunitaristischen Pol als Idealtypen von Gesinnungsklassen geben, die meisten Menschen positionieren sich aber irgendwo in der Mitte.
In dem Interview des ND nennt Mau vier empirisch nachgewiesene zentrale "Konfliktarenen der Ungleichheit"
Erstens den Oben-Unten-Konflikt, in dem es um klassische ökonomische Ungleichheit und um Verteilungsfragen geht. Zweitens um Innen-Außen-Konflikte wie die Migration. Dazu kommt die Wir-Sie-Arena die sich um Diversität und Diskriminierung dreht und die Heute-Morgen-Arena also etwa die Klimafrage. Die drei letzten Themen seien eher neue Konflikte, die viel Bewegung und Erregung in die Gesellschaft hineinbringen und sehr viele "Triggerpunkte" aufweisen:
Wir beobachten einerseits viel Konsens, aber auch erhitzte Gemüter, wenn bestimmte Reizthemen angesprochen werden, etwa das Gendern in der Sprache, im Straßenverkehr die Lastenfahrräder oder auf der anderen Seite Geländewagen wie die SUVs. Verletzungen von Gleichheitsvorstellungen, Gefühle von Kontrollverlust und Veränderungszumutungen sind typische Trigger, die Menschen erregen oder wütend machen. Das führt dann zu besonders emotionalisierten Diskussionen, die sich nicht so schnell einfangen lassen.
Und diese neuen "Umordnungen" politischer Konfliktfelder erzeugen natürlich auch neue Allianzen. Wir sollten zur Kenntnis nehmen, was Mau in dem Interview mit der "ZEIT" sagte:
Die soziale Welt ist nicht so schubladisiert, wie es vermittelt wird. Die öffentlichen Diskurse sind zum Teil entkoppelt von der Realität. Ich bin selbst immer wieder überrascht von der Empirie, weil sich meine Erwartungen ja auch aus den Medien und privaten Unterhaltungen speisen. Als Soziologe bin ich ein Mythenjäger.
Jagen wir auf der Suche nach der Wirklichkeit die "schubladisierenden" Mythen mit Geduld und Gelassenheit. Wir sind uns in Vielem wohl näher als gefühlt …..
Quelle: Interview: Thomas Gesterkamp www.nd-aktuell.de
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Ich finde das ein Höcker/zwei Höcker- Bild ganz wunderbar! Aber: Das sind beides Kamele. Die Art mit den zwei Höckern heißt Trampeltier. Dazu hab ich mal einen Merkvers gedichtet, seitdem komme ich nicht mehr durcheinander:
Wie oft verwechseln Leute hier
Das Dromedar und Trampeltier.
Ist doch ganz leicht: Das Dromedar,
Das bringt nur einen Höcker dar.
Hingegen trägt das Trampeltier
Der Höcker zwei (mitnichten vier!).
Und eines stimmt in jedem Falle:
Kamele sind sie alle.
...erinnert mich sehr an Jonathan Haidt, der ja auch für die USA von der behaupteten Spaltung spricht. Bei ihm ist es social media, das die Ränder radikalisiert und aber vor allem auch überlaut macht.
Sehr spannender piq!
https://www.piqd.de/te...
...die dringend nötige Korrektur eingeschliffener Debatten durch Empirie. Das spricht mir aus der Seele - und hier wird noch auf zahlreiche weiterführende Quellen verwiesen. Ganz toller Piqd zu einem sehr wichtigen Thema - Chapeau
Vielen Dank für den interessanten piq inklusive der Verweise auf weitere Interviews. Das Bild mit den Dromedar- bzw Kamelgesellschaften werde ich mir merken!