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Kopf und Körper

Warum wir so erschöpft sind

Theresa Bäuerlein
Journalistin. Autorin. Seit (gefühlt) schon immer.
Zum Kurator'innen-Profil
Theresa BäuerleinDienstag, 16.01.2024

Neues von Hartmut Rosa: In diesem Artikel schreibt der bekannte Soziologe über Energie, genauer: Wie menschliches Miteinander Energie schenken kann. Und warum so viele Menschen heutzutage Erschöpfung spüren. 

...wie zur Hölle tankt man Energie? Was ist das überhaupt, Energie, wenn es sich nicht um das physikalische Phänomen handelt? Und wieso haben von Jahr zu Jahr mehr Menschen das Gefühl, ihnen gehe die Energie aus, sie seien nur noch erschöpft? Geben wir uns nicht mit pseudowissenschaftlichen oder esoterischen Erklärungen zufrieden, ist die Suche nach einer Antwort nicht einfach.

Rosas Diagnose für die deutsche Gesellschaft und Politik ist ziemlich düster: 

So wie sich ein Mensch im Burn-out kaum mehr eine Treppe hochzugehen traut, so scheint jedes wirkliche Reformprojekt unerreichbar. Die politische Einsicht lautet, wir müssten (endlich) mehr Energie in die Digitalisierung, mehr Energie in die Bildung stecken; mehr Energie für die Verteidigung, für die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit, der ökonomischen Stagnation und des Klimawandels aufwenden – aber die politische Wahrnehmung sagt uns: Wir haben keine Kraft mehr dazu. Zugleich sind wir individuell wie kollektiv unfähig, auch nur langsamer zu machen, den Energieumsatz zu reduzieren, aufzuhören, uns selbst und die Umwelt zu zerstören. Kein Zweifel, wir haben eine gewaltige, doppelte Energiekrise (...) 
Die individuelle wie die kollektive Burn-out-Pandemie hat ihren Ursprung gerade darin, dass sich unsere privaten und politischen Aktivitäten in wachsendem Maße wie Tätigkeiten anfühlen, bei denen wir immer mehr Energie verbrauchen, aufwenden, investieren müssen und immer weniger zurückerhalten. Wir müssen immer mehr leisten, um uns etwas leisten zu können. Dies ist das Gefühl oder die Erfahrung, die Menschen in den Populismus treibt. Sie berechnen, was nach Abzug aller Investitionen als Gewinn für sie übrig bleibt: Input, Output.

Sein Lösungsvorschlag: 

...eine Konzeption zirkulierender sozialer Energie (...) Ein zirkulierender Energiestrom, was, bitte schön, soll das sein? Mein Vorschlag lautet, dass wir uns darunter keine metaphysische Substanz vorstellen sollten, sondern den Begriff zunächst nur als Metapher für etwas verwenden, was zwischen Menschen und vermutlich auch zwischen Menschen und Dingen möglich ist: Es kommt durchaus vor, dass wir nicht mit Freunden ausgehen, sondern Klavier spielen oder wandern und auch dabei in der Verausgabung von Energie neue Kraft gewinnen.

Rosa greift dafür auf indische, afrikanische und chinesische Ideen zurück: 

So unterschiedlich diese Konzepte auch sind, was sie gemeinsam haben, ist die Überzeugung, dass Energie im psychosozialen Sinn nicht individueller Besitz ist, nicht etwas, das wir haben oder gar aufbringen müssen, sondern etwas, an dem wir partizipieren, dem gegenüber wir uns öffnen oder verschließen können. Die Fruchtbarmachung eines solchen Konzeptes für die Soziologie könnte ein erfolgversprechender Weg dazu sein, deren eurozentrische Engführungen zu überwinden (...) Meine kurz gefasste, provokative These lautet: Anstrengung führt zu Energiegewinn, wenn ihr subjektiver Fokus auf der Tätigkeit selbst, auf dem "Throughput" liegt, und sie führt zu Erschöpfung, wenn er auf der Input-Output-Beziehung ruht.
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