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Zeit und Geschichte

Warum sind so wenige aktuelle Aufstände erfolgreich?

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
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Dirk LiesemerSamstag, 14.09.2024

Ich hadere ein wenig mit dieser Empfehlung: Einerseits finde ich die Frage, warum die vielen aktuellen Aufstände in aller Welt so selten einen Wandel zum Bessern bewirkt haben, spannend, aber es gibt doch etliche Punkte, denen ich widerspreche. Vielleicht ist das jedoch gut für eine Diskussion.

Es geht in diesem gut 20minütigen Radiofeature um das Buch "If we burn" des US-Journalisten Vincent Bevens. Dieses untersucht Gemeinsamkeiten der Aufstände in Brasilien, Tunesien, Ägypten, den USA, Chile und Südkorea, von denen Bevens einige aus der Nähe miterlebt hat. Was also verbindet sie? Und warum sind sie letztlich gescheitert?

Folgende zwei Punkte des Features will ich nicht unkommentiert stehen lassen: Erstens die Behauptung, dass es eine Entwicklung von sozialen Revolutionen (1789 in Frankreich und 1918 in Russland) hin zu bürgerschaftlichen urbanen Revolutionen gegeben habe. Klingt als These gut, ist aber merkwürdig, schließlich fand die Revolution von 1789 nicht irgendwo auf dem Land, sondern mitten in Paris statt und wird allgemein als bürgerliche Revolution charakterisiert (der dritte Stand, also die Bauern, profitierte nicht davon). Und was die russische Revolution angeht: Auch sie fand mitten in der damaligen Hauptstadt Sankt Petersburg statt – war also urban. Zwar ging es dort 1917 auch um sozialen Fragen (Hunger), aber das war 2011 in Tunesien kaum anders, wo sich der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi, der die Revolution in Gang setzte, bekanntermaßen fernab des (urbanen) Tunis selbst verbrannte.

Und zweitens halte ich die Behauptung, dass vor allem mangelnde Repräsentation zu den aktuellen Massenprotesten führt, allenfalls für die halbe Wahrheit. Entscheidender dürfte sein, dass autoritäre Staaten, wo die vehementesten Aufstände stattfinden, über keine internen Mechanismen verfügen, um Konflikte friedlich beizulegen. Fraglich ist auch, ob man Aufstand, Protest und Revolte einfach so in einen Topf werfen sollte.

Gleichwohl ist der Beitrag von Uli Hufen und Kathrin Kühn hörenswert, weil er einen darüber nachdenken lässt, warum so viele Aufstände trotz allem anfänglichen Optimismus letztlich ihre Ziele nicht erreichen. Sicher nicht falsch ist die Beobachtung, dass viele Proteste von Gruppen gekapert werden, die ganz andere Ziele haben als die ursprünglichen Demonstranten. Mal sehen, wie sich die Vergleichende Revolutionsforschung weiterentwickeln wird.

Warum sind so wenige aktuelle Aufstände erfolgreich?

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Kommentare 8
  1. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor 2 Monaten

    ...am meisten bewegt hat mich der Gedanke, dass "das Digitale" dem Erfolg im Wege steht. Das sich zwar präzise planen und auch erregen lässt, aber keine echten Effekte mehr entstehen können, weil die Menschen sich nicht kennen und keine Strukturen und Beziehungen mehr entstehen. Eine tief dystopische Erkenntnis?

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 2 Monaten

      Ob das so stimmt, ist unsicher.

      Sicher ist, ohne Beziehungen geht es nicht.

      Allerdings gab es nach Medienumbrüchen, zunächst immer Schwierigkeiten mit diesen umzugehen. Das war in der frühen Neuzeit bei den Flugschriften so oder nach der ersten deutschen Einheit mit den manchmal mehrmals täglich erscheinenden Zeitungen. Während des Sozialistengesetzes (1878-90) kamen viele durch das Schmuggeln der oft in der Schweiz gedruckten linken Presse zusammen. Die linken Blätter wurden gemeinschaftlich gelesen und es entstand eine international wirkende nationale Bewegung.

      Möglicherweise entstehen auch im digitalen Umbruch neue Möglichkeiten, mit denen auf die transnationale Vielfachkrise reagiert werden kann.

    2. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 2 Monaten

      @Achim Engelberg Danke. Sehr interessant. Ich suche mal, wer schon nachdenkt über diese Möglichkeiten.

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 2 Monaten

    Bei Deinem Pick erinnerte ich mich an einen alten von mir. Und ich bin fündig geworden:
    https://forum.eu/zeitg...

    Der Text von Guillaume Paoli stammt aus dem Jahr 2019, also noch vor Corona, und ist frisch geblieben. Der Philosoph erklärt auch, warum die zahlreichen Aufstände, die sich nicht zu einer Revolution entwickelten, scheiterten. Er endet so :

    "Bislang ist es nirgendwo gelungen, aus den sporadischen Konfrontationen eine dauerhafte Opposition aufzubauen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.

    Zum einen haben tradierte linke Strategien ihr Unvermögen genügend unter Beweis gestellt, eine praktikable und zugleich wünschens­werte Alternative anzubieten.

    Zum anderen, und das ist die wesentliche Hürde, erfolgt jeder Einzel­protest zwangs­läufig im Rahmen der Nation, wobei er sich doch gegen eine globale Ordnung richtet.

    Gesetzt den Fall, es würde ein Volks­aufstand in einem bestimmten Land siegen, bliebe nur die Exit-Option übrig, mit unabsehbaren und nicht unbedingt rosigen Folgen für die Bevölkerung. Voraussichtlich wird sich also das Muster des gerade zu Ende gehenden Jahres noch einige Zeit fortsetzen: autoritärer Liberalismus, durch gelegentliche Ausbrüche des Zorns zu temporären Zugeständnissen gebracht. Bis der Status quo nicht mehr haltbar ist."

    Er den alten Pick liest, unbedingt den letzten Link klicken. Das Lied ist auch frisch geblieben und hat Kraft.

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 2 Monaten

      Guter Hinweis, Achim! Auch wenn Paoli das Thema arg durch seine linke Revoluzzerbrille betrachtet. Den meisten Demonstranten dürfte es gar nicht so sehr um eine grundsätzlich andere (welt-)ökonomische Ordnung gehen, sondern um politisches Gehör und soziale Reformen in ihrem Land. Dass Proteste fast immer auf den nationalen Rahmen begrenzt sind, ist deshalb auch von Vorteil, um überhaupt Änderungen zu erreichen. Aber, wie geschrieben, guter Hinweis!

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 2 Monaten

      @Dirk Liesemer Was die Mehrheit der Demonstranten denkt, ist nicht so wichtig. Zumindest ist nicht überliefert, dass auch nur einer der Revolutionäre von Paris ab 1789 ahnte, was kommen würde: Napoleon, dessen Kriege, die Niederlage im Jahrhundertkampf mit England. Bestimmt war das bei den Protesten, die sich zur Revolution verdichteten, nicht gewollt.

      Nicht Frankreich, sondern England stieg nach 1815 auf zur Zentralmacht der ersten globalen Weltwirtschaft.

      Wichtig beim empfohlenen Beitrag ist die Organisationsfrage. Mit Bewegungen kann man zeitweise die Macht stürzen oder verändern, aber nicht die Basis. Hier braucht es fest gefügte Organisationen. Und selbst dann bleibt vieles beim Alten.

    3. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor 2 Monaten

      @Achim Engelberg Die Organisationsfrage ist in der Tat zentral, und da haben viele auch die Macht der digitalen Netzwerke massiv überschätzt: Twitter und Co bringen nur Erregungsimpulse zustande, mehr nicht. Wie wichtig eine gute Organisation und eine geradezu brüderliche Verschworenheit ist, zeigte auch der Matrosenaufstand von 1918, über den ich mal ein Buch geschrieben habe https://www.mare.de/bu...

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Monaten

      @Achim Engelberg Ich denke, es scheitert vor allem an den vielen Illusionen über Gesellschaften und darüber was Politik und Individuen leisten können. Wir wissen zu wenig über uns und unsere Gesellschaft. Das Wünschen und Sollen ist stärker als der Realismus, das Können und die evolutionäre Geduld.

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