In den wenigen vergangenen Monaten hat die Europäische Union mehrere sogenannte Migrationsabkommen mit Nachbarstaaten abgeschlossen. Das Wort Abkommen ist dabei etwas irreführend. Es handelt sich eher um Vereinbarungen, die keinerlei rechtliche Bindung besitzen. Die Formel ist dabei klar: Die EU gibt massiv Geld, die Drittstaaten sorgen dafür, dass keine Flüchtende mehr die EU-Außengrenzen überwinden. Hier eine kleine Liste, wer schon in den Genuss der üppigen EU-Gelder gekommen ist: 

• Libanon: Eine Milliarde Euro an Hilfen wurden erst vor wenigen Tagen vereinbart. Aus dem instabilen Land waren in den vergangenen wenigen Monaten mehr (vor allem syrische) Flüchtende nach Zypern gelangt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die EU-Gelder wegen der schwachen Zentralregierung und der verbreiteten Korruption in informelle Kanäle fließen könnte. Sogar in die Hände der Hizbollah, die ja von der EU als Terrororganisation gelistet wird. 
  
• Ägypten: Mindestens 4,5 Milliarden Euro soll Ägyptens Präsident Abdelfattah al-Sisi bekommen – wenn er Flüchtende daran hindert, EU-Territorium zu erreichen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren den Deal mit dem autokratisch herrschenden Regime am Nil. Es bringe Menschen direkt in Gefahr und stabilisiere die Unterdrückung im Land. 
  
• Tunesien: Kais Saied ist so etwas wie der tunesische Donald Trump und so schickte er eine Tranche der vereinbarten 900 Millionen Euro einfach wieder zurück nach Brüssel, weil er keine Almosen annehme. Auch an diesem Abkommen ist die Kritik groß, in den vergangenen Wochen machte Saied mit rassistischen Aussagen gegen Flüchtende Schlagzeilen, aus dem Land kamen beunruhigende Meldungen über die Misshandlung von flüchtenden Menschen. 
  
• Mauretanien: Weil die westliche Atlantikroute Richtung kanarische Inseln immer mehr in den Fokus gerät, hat die EU dieses Jahr auch mit dem westafrikanischen Land Mauretanien ein Abkommen geschlossen. Es bleibt zweifelhaft, ob dabei fundamentale Menschenrechte eingehalten werden. 
  

Als Vorlage dient oft das EU-Türkei-Abkommen von 2016, das auf beiden Seiten für viel Streit und eklatanten Menschenrechtsverletzungen gesorgt hat. Viel von diesen EU-Überweisungen fließen in die Aufrüstung der Armeen, (Geheim-)Polizeibehörden und der Grenzregime der jeweiligen Partnerländer – also direkt in das Unterdrückungssystem der Regime. Aber auch Entwicklungszusammenarbeit und Wirtschaftshilfen sind Teil der Vereinbarungen. Die Kritik ist dabei groß und kommt von fast allen Seiten: selbst aus den Reihen europäischer Konservativer heißt es, dass die EU mit diesen Abkommen nur Diktaturen finanzieren und damit Fluchtursachen forcieren würde. Linke, grüne, sozialdemokratische und liberale Abgeordnete schließen sich dieser Kritik an. So heißt es aus dem Europaparlament zum Beispiel: "[Diese Abkommen] sind gegen die europäischen Werte, um ehrlich zu sein. Helfen wir den Menschen oder helfen wir dem Regime?" oder „Geld für Diktatoren auszugeben, ist keine Migrationspolitik“. Dennoch vereinbarte die EU die entsprechenden Abkommen im Akkord. 

Bei den Pressefotos zu diesen Migrationsabkommen steht immer eine Person im Mittelpunkt: EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen. Sie hat sich in den vergangenen Wochen als Vermittlerin zwischen allen Fronten mit großer Affinität zu faschistischen Regierungen wie zum Beispiel in Italien aufgetan. Nach den anstehenden Europawahlen sollen weitere Abkommen, zum Beispiel mit Marokko, folgen. Die Regime im südlichen Mittelmeer wissen, dass sie im Rahmen der Migrationsabkommen großen Druck auf die EU und die EU-Mitgliedsstaaten ausüben können. Sie setzen diesen Druck ein, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Auf der Strecke bleibt das verbriefte Recht auf Asyl. 

Kritiker*innen befürchten außerdem, dass der Weg der Migrationsabkommen zu Rwanda-Lösungen führen könnte. Großbritannien bereitet seit langer Zeit automatische Abschiebungen in die afrikanische Diktatur Rwanda vor. Viele Politiker*innen in Deutschland und in der EU haben dafür schon Sympathien bekundet. Ursula von der Leyen könnte also im Wahlkampf und nach der Europawahl dementsprechend neue politische Ziele anpeilen.