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Klima und Wandel

Studie: Dem Planeten geht die Puste aus

Nick Reimer
diplomierter Energie- und Umweltverfahrenstechniker, Wirtschaftsjournalist und Bücherschreiber
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Nick ReimerDonnerstag, 14.09.2023

Das ging damals schon schief: Anfang des 18. Jahrhunderts hatten die Bergleute im Freiberger Silber-Revier in Sachsen so viel Holz gerodet, das kaum noch Bäume übrig waren. Ohne Holz aber, war Bergbau damals unmöglich: Einerseits wurden Holzpfosten gebraucht, um die Schächte abzustützen, andererseits war das Holz als Heizstoff zum Schmelzen des Erzes unablässig. Die Bergleute hatten natürliche Grenzen überschritten: Immer nur Abholzen und nie etwas Nachpflanzen, das brachte das Gewerbe fast zum Erliegen.

Es schlug die Stunde des Hans Carl von Carlowitz: Der Oberberghauptmann des Erzgebirges ordnete an, fortan nur noch so viel Holz zu schlagen, wie gleichzeitig nachwachsen kann. In seinem Lehrbuch „Sylvicultura oeconomica“ über die Forstwirtschaft benutzte er 1713 erstmals den Begriff der Nachhaltigkeit. Der Anbau von Bäumen müsse so erfolgen, „daß es eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weil es eine unentberliche Sache ist“.

Was damals durch Wiederaufforstung korrigiert werden konnte, stellt sich heute weitaus schwieriger dar: Ein internationales Forschungsteam hat die natürlichen Belastungsgrenzen der Erde untersucht, die – wenn sie überschritten werden, wie damals im Freiberger Bergbau – den Weiterbetrieb des Systems kollabieren lassen. Die Wissenschaftler:nnen um den Schweden Johan Rockström – er ist Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK – definieren neun solcher Grenzen, beispielsweise den „Süßwasserverbrauch“, die „Funktionsfähigkeit der Biosphäre“, das „Abholzen und andere Landnutzungsänderung“ – etwa das anhaltende Betonieren von Natur für Straßen oder Gewerbegebiete – oder die „Verschmutzung der Umwelt durch Plastik und Chemikalien“. Das Ergebnis, dass gerade im Fachblatt Science veröffentlicht wurde, ist verheerend: Sechs der neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten.

„Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht“, urteilt Co-Autor Johan Rockström. Würden wir uns die Erde als einen menschlichen Körper vorstellen, wären die planetaren Grenzen so etwas wie der Blutdruck. „Ein Blutdruck von über 120/80 bedeutet zwar nicht, dass ein sofortiger Herzinfarkt droht, aber er erhöht das Risiko“, erklärt Hauptautorin Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen. Überschritten sei beispielsweise die Grenze für die „Verschmutzung der Umwelt durch Plastik und Chemikalien“: Die Menschheit hat so viel Mikroplastik, Pestiziden oder Atommüll in die Umwelt eingebracht, dass der Planet dadurch nachhaltig verändert wird. Auch die Grenze für „Süßwasser“ ist überschritten: Die Wissenschaftler:nnen unterschieden dabei in sogenanntes „grünes“ Wasser, das in landwirtschaftlichen und natürlichen Böden und Pflanzen enthalten ist, und in „blaues“ Wasser, das in Flüssen, Seen oder Mooren vorkommt. Ersteres wird übernutzt, zweiteres verdreckt oder trocken gelegt.

„Neben dem Klimawandel ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre die zweite Säule der Stabilität unseres Planeten“, erklärt Co-Autor Wolfgang Lucht, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK. Beim Klimawandel sind die Belastungsgrenzen erreicht, beim Artensterben aber bereits überschritten. „Wie beim Klima destabilisieren wir derzeit auch diese Säule, indem wir zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden“, urteilt Lucht. Erstmals wertet die Studie wissenschaftliche Belege für die Quantifizierung der „Grenze für die Aerosolbelastung der Atmosphäre“ aus. Aerosole sind Dreckpartikel, die durch menschliche Aktivität in die Luft gelangen, Rußpartikel aus den Autoabgasen beispielsweise. Zwar ist diese Grenze noch nicht komplett überschritten, allerdings gibt es Regionen, in denen die Wissenschaftler:nnen eine Überschreitung konstatieren, zum Beispiel in Südasien.

Stickstoffkreislauf, Erderwärmung, Entwaldung, Artenschwund, Schadstoffe und Süßwasser sind jene planetaren Grenzen, die jetzt schon überschritten sind. Ozeanversauerung, Ozonschicht und Luftverschmutzung sind es noch nicht: Entwickelt hatte das Konzept der planetaren Grenzen 2009 eine Gruppe von 29 Wissenschaftlern, zu denen neben Johan Rockström, Åsa Persson vom Stockholm Resilience Centre, der Nobelpreisträger Paul Crutzen und eben auch die dänische Biologin Katherine Richardson gehörte. Die jetzt vorgestellte Arbeit aktualisiert nicht nur den Wissensstand, sondern liefert auch neue Methoden zur Berechnung der planetaren Grenzen. Johann Rockström „Dieses Wissen zur Verfügung zu haben ist eine ausgezeichnete Grundlage dafür, durch systematischere Anstrengungen Schritt für Schritt die Widerstandsfähigkeit unseres Planeten zu schützen, erholen zu lassen und wieder herzustellen.“

Das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen ist nicht das einzige, um den zügellosen Raubbau der Menschheit auf der Erde zu beschreiben: Das Global Footprint Network ermittelt jedes Jahr den Tag, an dem die Gier der Menschheit jenes Angebot an "nachwachsenden Rohstoffen" der Natur wie Holz, Frischluft, Trinkwasser, Fisch oder Weizen in einem Jahr übersteigt. Der so ermittelte "Erdüberlastungstag" war in diesem Jahr der 2. August

Das älteste Konzept hat aber zweifellos Hans Carl von Carlowitz geliefert.

Studie: Dem Planeten geht die Puste aus

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