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Ost und West dreißig Jahre später – Denkanstöße von Karl Schlögel

Keno Verseck
Journalist

geb. 1967 in Rostock, freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Mittel- und Südosteuropa.

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Keno VerseckFreitag, 06.03.2020

Das vermeintliche oder reale Auseinanderdriften der politischen und kulturellen Befindlichkeiten zwischen dem Osten und dem Westen Europas ist ein Thema, das in den vergangenen Jahren in Mode gekommen ist. Es gibt eine Menge steiler Thesen dazu, und es äußern sich im Westen auch manche - Journalisten, Publizisten, Autoren -, die sich nie besonders für den Osten Europas interessiert haben, noch auch ihn besonders gut kennen. Demgegenüber ist der Historiker Karl Schlögel jemand, der seit Jahrzehnten wie kaum ein anderer versucht, einem deutschen und westeuropäischen Publikum die Geschichte und Gegenwart des Ostens nahezubringen. Er hat mitunter regelrechte "archäologische" Pionierarbeit geleistet. Für die neueste Ausgabe der wunderbaren Zeitschrift Osteuropa, die sich dem Thema "Macht und Recht im Osten Europas" widmet, hat Schlögel den einleitenden Essay geschrieben. Er blickt darin zurück auf das Jahr 1989 und auf die großen Hoffnungen nach dem Umsturz der Diktaturen im Osten Europas, auf die Transformation und ihre Wirren, und er sinniert über den Aufstieg von Nationalismus und Autoritarismus in Osteuropa. Schlögel ist ein großartiger, sprachgewaltiger und dafür zu Recht preisgekrönter Essayist. In diesem Text gibt er mit Zurückhaltung und fast mit Bescheidenheit, der man den Umfang seines Wissens und seines Verständnisses für den Osten Europas anmerkt, einige Denkanstöße zur neuen Ost-West-Debatte, die in der besten Tradition kritisch-skeptischen Denkens stehen. Es ist schwer, das in nur einigen kurzen Sätzen wiederzugeben, deshalb ein Zitat zu der heutigen allgemeinen "Verwirrung bisher klarer Fronten":

Vielleicht ist das nichts anderes als die Wiederherstellung des Normalzustandes Europas nach einem halben Jahrhundert der Stabilität auf einem geteilten Kontinent. Der Westen ist ebenfalls Teil dieser Normalisierung. „Der Westen“ als eine homogene Einheit hat zu existieren aufgehört. Auch der ehemalige Westen ist auf der Suche nach einem neuen Gleichgewicht. Dabei kommt es zu Fusionen, die sich niemand vor 30 Jahren vorstellen konnte. (...) Die Korruption aus dem Osten fusionierte mit der hausgemachten Korruption des Westens.

An dieser Stelle möchte ich zugleich die - nochmals: wunderbare - Zeitschrift Osteuropa empfehlen, in der herausragende Akademiker und Intellektuelle aus Ost und West die zeitgenössischen Entwicklungen im Osten Europas analysieren und einordnen. Wer sich tiefschürfend über diesen Teil unseres Kontinents informieren möchte, wird keine vergleichbare Zeitschrift finden.

Ost und West dreißig Jahre später – Denkanstöße von Karl Schlögel

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