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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Ich hadere etwas mit diesem Thema. Denn natürlich kann man seine Ansichten frei in der Öffentlichkeit äußern. In den digitalen Netzwerken, in Zeitungen und generell in den Medien, auch hier bei piqd, finden sich teils sehr unterschiedliche Beiträge zu allen möglichen Themen (und keineswegs geht es immer nur um Meinungen, sondern oft auch um nüchterne Recherchen, Analysen und Interviews). Darüber hinaus ist die Meinungsfreiheit grundgesetzlich geschützt und wird von keiner nennenswerten politischen Partei infrage gestellt. Und klar, wer seine Meinung bekannt macht, darf nicht nur mit Applaus rechnen.
Andererseits lässt sich fast täglich eine extreme Empfindsamkeit und Unduldsamkeit beobachten, was einzelne Worte angeht. Höchst lesenswert übrigens der heutige Beitrag des Literaturwissenschaftlers Achim Hölter über die massenhaften, großteils absurden Redigaturen in der Taschenbuch-Edition der Donald-Duck-Comics, die nur so von vorauseilendem Gehorsam vor dem Zeitgeist getrieben sind (hier nachzulesen oder für kurze Zeit bei Blendle).
So oder so sollte man aber schon genauer hinschauen, wenn eine Mehrheit der Bürger mittlerweile daran zweifelt, sich frei und unbeschwert in der Öffentlichkeit äußern zu können. Immerhin geht es um eines der höchsten demokratischen Güter.
Bereits seit einiger Zeit zeigt sich in den Umfragen des Allensbacher Instituts, dass das Freiheitsgefühl der Bürger rückläufig ist. Seit dem Jahr 1953 wurde immer wieder die Frage gestellt: „Haben Sie das Gefühl, dass man heute in Deutschland seine politische Meinung frei sagen kann, oder ist es besser, vorsichtig zu sein?“ Stets antwortete eine klare Mehrheit, sie glaube, man könne seine Meinung frei äußern. Von den sechziger Jahren bis ins vergangene Jahrzehnt hinein vertraten regelmäßig mehr als zwei Drittel der Befragten diese Ansicht, seitdem aber haben sich die Antworten dramatisch verändert. Im Juni 2021 sagten gerade noch 45 Prozent, man könne seine Meinung frei sagen, praktisch gleich viele, 44 Prozent, widersprachen.
Sitzt diese Mehrheit, die meint, man sollte vielleicht besser schweigen, nur einem Missverständnis auf? Fehlt es ihr an Zivilcourage? So einfach ist es nicht, denn die allermeisten Menschen wissen sehr wohl, dass es kein Gesetz gegen Meinungsfreiheit gibt. Dass sie nicht mir nichts, dir nichts für ein falsches Wort ins Gefängnis kommen. Gleichwohl empfinden sie einen Druck, wenn sie sich in der Öffentlichkeit ausdrücken sollen. Ihnen ist klar, sie müssen dann bestimmte Worte und Redeweisen wählen, die ihnen nicht vertraut sind und mit denen sie wenig anzufangen wissen. Wer aber unsicher und nicht allzu streitlustig ist, zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück.
Um das Phänomen fassbar zu machen, haben die Allensbach-Forscher unter anderem – wohlgemerkt: unter anderem – am Beispiel der sogenannten gendergerechten Sprache nachgehakt. Das bietet sich schon deshalb an, weil deren Sprachcodes mittlerweile recht laut in öffentlichen Debatten eingefordert werden. Ganz gleich wie die Befragten jedoch kategorisiert wurden (jung/alt, Mann/Frau oder nach Parteipräferenz): Immer lehnte eine Mehrheit der Befragten das konsequente Gendern ab – 65 Prozent der Frauen, 65 Prozent der Menschen unter 30 Jahren, sogar 65 Prozent der Grünen-Anhänger. (Es sind tatsächlich jeweils 65 Prozent.)
Die verbreitete Ablehnung dieser Sprechweise steht damit im auffälligem Kontrast zu dem, was derzeit an Universitäten, einigen Behörden, einzelnen Parteien und in manchen Leitmedien als gesetzt gilt.
Aus Sicht des Autors Thomas Petersen, der bei Allensbach arbeitet, spricht daher einiges dafür, "dass sich die intellektuellen Diskussionen um solche Themen – einschließlich der Diskussionen in maßgeblichen Massenmedien – teilweise von der Lebenswirklichkeit der Bürger entkoppelt haben". Ob sich diese Entkopplung bereits in Wahlergebnissen oder an sinkenden Zeitungsauflagen zeigt, wird im Text nicht angesprochen. Solch ein Nachweis wäre wohl auch zu kompliziert; Petersen meint gleichwohl:
Dies aber bedeutet für die Gesellschaft Konfliktpotential. Für die beteiligten Medien ist es problematisch, weil Zuspruch und Glaubwürdigkeit in Gefahr sind. Und auch die Bereitschaft der Bevölkerung, sich sprachlich gängeln zu lassen, ist nicht grenzenlos.
Der ausführliche Text samt weiterer Schlussfolgerungen ist noch für ein paar Tage auch auf Blendle kostenpflichtig abrufbar. Zudem finden sich Zusammenfassungen der Umfrage an diversen Stellen im Netz.
Quelle: Thomas Petersen Bild: Imago www.faz.net
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Unter dem Titel: „ „Überhebliche Missionare“ gegen „aggressive Fremdenfeinde““ berichtet WELT über eine Studie, die zu folgenden Einschätzungen kommt:
„So charakterisiert ein Forscherteam der Universität Münster eine Auseinandersetzung, die nicht nur in der westlichen Welt immer heftiger geführt wird. Sie kreist um die Begriffe Identität und Identitätspolitik. Es geht um Fragen wie diese: Wer oder was man ist, wie man dazu gemacht wird, ob man darauf beharren sollte oder dabei benachteiligt wird – und ob andere ihre eigene Identität ausleben und verfechten dürfen.
Es gibt linke und rechte Identitätspolitik. Beide Male geht es vorrangig um ethnisch-kulturelle Prägungen sowie geschlechtliche Präferenzen. Auf beiden Seiten besteht die Tendenz, aus Eigenschaften und Vorlieben von Menschen etwas Absolutes zu bauen, das von der Gegenseite unterdrückt werde und deshalb umso vehementer zu verfechten sei.
Black Lives Matter und geschlechtliche Diversität stehen auf der linken Seite, auf der rechten unter anderem Pegida und eine AfD, die laut ihrem Landtagswahlprogramm in Sachsen-Anhalt „gesunde Einstellungen wie Familiensinn und Nationalgefühl“ bedroht sieht.
Welchen Rückhalt diese beiden Lager in der Gesellschaft haben und was für die jeweilige Anhängerschaft charakteristisch ist, wurde nun am Exzellenzcluster Religion und Politik der Uni Münster in einer großen Studie für vier europäische Länder analysiert.
Gestützt auf eine repräsentative, Ende 2020 durchgeführte Befragung von gut 5000 Menschen in Deutschland, Frankreich, Schweden und Polen, haben die Sozialwissenschaftler zwei Gruppen identifiziert, die in Deutschland zusammen rund einem Drittel der Bevölkerung entsprechen und einander konträr gegenüberstehen. Benannt werden die Gruppen in der am Donnerstag veröffentlichten Studie als „Verteidiger“ einerseits und „Entdecker“ andererseits.
Die Gruppe der Verteidiger steht laut den Autoren „in allen Ländern für ein enges Konzept der Zugehörigkeit zum eigenen Land, wonach nur dazugehört, wer im Land geboren wurde, Vorfahren der ethnisch-nationalen Mehrheit hat und/oder der dominanten Religion angehört“. Diese Gruppe verteidige somit „traditionelle Kriterien wie ethnische und religiöse Homogenität“; sie fühle sich „durch Fremde wie Muslime und Geflüchtete bedroht sowie selbst benachteiligt“.
Menschen aus dieser Gruppe, die auf knapp 20 Prozent der Deutschen taxiert wird, seien „unzufriedener mit der Demokratie, misstrauischer gegenüber politischen Institutionen“ und sprächen sich „deutlich eher für das Konzept eines ‚starken Führers‘ aus“.
Kleiner ist demnach mit einem Bevölkerungsanteil von gut 13 Prozent die entgegengesetzte Gruppe der Entdecker. Sie lehnen, so die Autoren, „ein enges Konzept von Zugehörigkeit nach ethnisch-religiösen Kriterien ab“ und fühlen sich nicht durch Fremde bedroht. „Vielmehr entdecken sie Zuwanderung und wachsende Vielfalt als Chance und plädieren für eine Gesellschaft mit vielen gleichberechtigten Lebenskonzepten.“ ….“
https://www.welt.de/po...
Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht in Berlin lebe. Aber mich hat noch nie jemand dafür kritisiert oder überhaupt darauf angesprochen, dass ich im Alltag nicht gendere. (In Schriftform tue ich es unregelmäßig)
Ist das wirklich ein Phänomen?
hm. Statistiken und Umfragen sind natürlich so eine Sache. Und das Ergebnis dieser tatsächlich beunruhigend. Allerdings hätte ich vielleicht sogar ähnlich geantwortet von wegen nicht alles frei sagen können und zwar so gemeint: nicht ohne Angst vor ggfs. Ärger Gefahr Beleidigung etc. Und zwar durch rechte. weil und wenn ich etwa für gendern oder gegen alltagsrassismus spreche. und die bedrohten Kommunalpolitiker würden diese Frage sicher auch ähnlich beantworten können müssen...
und die erwähnte Umfrage bzgl Gendern - die ergab soweit ich weiß auch dass eine Mehrheit auch ablehnt das Gendern zu verbieten...