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Flucht und Einwanderung

Gestern & Heute: Wie veränderte sich das Mittelmeer?

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDienstag, 08.06.2021

Das Mittelmeer, eigentlich die See der Zivilisationen, wird seit 1990 zu einem Meer der Toten. Zehntausende starben und sterben an Europas Rändern.

Von einer neuen Taktik berichtet ein Beitrag auf BuzzFeed News mit vielen Links zu anderen Artikeln oder Dokumenten. Die EU-Organisation Frontex überwacht zunehmend Europas Grenzen aus der Luft und arbeitet mit dubiosen Kräften zusammen. Die Recherche rekonstruiert mehrere Fälle, in denen mehr als 180 Flüchtlinge ertrunken sind, obwohl Frontex-Flugzeuge zuvor in der Nähe kreisten.

Von April bis November 2020, so zeigen es interne Dokumente des Europäischen Auswärtigen Dienstes, fing die libysche Küstenwache insgesamt 94 Mal ein Boot mit Menschen ab. 70 Mal kreiste zuvor ein Flugzeug von Frontex in der Nähe, so geht es aus von uns ausgewerteten Flugdaten hervor. Die EU hat sich mit dem Einsatz von Flugzeugen offenbar eine legale Grauzone geschaffen, mit der sie die Verantwortung für ertrinkende Geflüchtete abschiebt.

Mit neuer Technik von Langstreckendrohnen über Quadrokoptern bis hin zu Zeppelinen setzt Frontex zunehmend millionenschwere Technik ein oder plant, diese bald einzusetzen, um eine gescheiterte Politik fortzusetzen.

Wie alt diese Politik ist, das zeigt ein Stück von gestern, genauer: aus dem Januar 1999. Der bislang letzte Balkankrieg, der im Kosovo, stand bevor. Die Osterweiterung der EU hatte begonnen – mit der NATO-Mitgliedschaft zentraler osteuropäischer Länder, die ab 2004 in die EU eintreten konnten.

Und gleichzeitig – so die Aussage dieses Artikels von Jelle van Buuren – begann aus Furcht vor unkontrollierbaren Migrationswellen der zunehmende Ausbau der EU in eine Festung.

Bereits in seinem im Jahr 2000 erschienenen Standardwerk "Europa in Bewegung" schrieb Klaus J. Bade, der Nestor der deutschen Migrationsforschung, dass diese Flüchtlingspolitik in eine Sackgasse führt:

Solange das Pendant der Abwehr von Flüchtlingen aus der ›Dritten Welt‹, die Bekämpfung der Fluchtursachen in den Ausgangsräumen, fehlt, bleibt diese Abwehr ein historischer Skandal, an dem künftige Generationen das Humanitätsverständnis Europas im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert bemessen werden.

Bei aller Unbestimmtheit der Zukunft ist eines sicher: Da sich in der Vielfalt von planetarischer Flucht und Migration die Vielfalt der globalen Konflikte von der Klimakatastrophe über die Stellvertreterkriege einer multipolaren Welt bis zur gravierenden Ungleichheit zeigt, sind wir auf einem langen und beschwerlichen Weg. Weiterhin gilt – abgesehen von wenigen Ausnahmen – die Regel: Nicht die Fliehenden schaffen die Probleme, aber sie zeigen sie auf.

Über diese verflochtenen Konflikte publizierte ich gerade das Buch AN DEN RÄNDERN EUROPAS.

Die jetzige Führungsgestalten und -gewalten steuern die EU weiter in die Sackgasse. Deshalb lautet ein Fazit der Recherche auf BuzzFeed News:

Seit 2015 boomt die Militär- und Sicherheitsfirmen-Branche, schreibt Mark Akkermann, der unter anderem für das Transnational Institute zum Thema Militarisierung an den Grenzen forscht. In seinem Bericht „Border Wars“ listet er auch Firmen auf, die zum einen die EU-Außengrenzen überwachen sollen und zum anderen – zeitgleich – Rüstungsgüter in die Herkunftsländer der Geflüchteten exportieren.

Gestern & Heute: Wie veränderte sich das Mittelmeer?

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Kommentare 4
  1. Christoph Weigel
    Christoph Weigel · vor mehr als 3 Jahre

    "Das Mittelmeer, eigentlich die See der Zivilisationen" nein, achim, eigentlich eher nicht die see der zivilisationen - wenn du damit im umgangsprachlichen sinn "zivil" aka friedlich meinst - und vor 1990 zurück bis in die früheste überlieferte historie, also ~5.000 jahre vor "unserer" zeitrechnung: eher kurze friedlich phasen haben sich unentwegt mit eher längeren phasen kriegerischer auseinandersetzungen abgewechselt. ich will damit keineswegs das gegenwärtige "flüchtlings-drama", der blutigste schandfleck der europäischen "zivilisation", nicht relativieren.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 3 Jahre

      Kriege findest Du an allen von vielen Menschen bewohnten Küsten.

      Es ist ein Paradox: Die erste europäische Zivilisation, die der griechischen Stadtstaaten, kolonisierte weite Teile ihrer Umgebung. Von der römischen Zivilisation, die Europa am stärksten prägte, finden sich bis heute erhalten gebliebene Triumphbögen, die gewonnene Kriegen darstellen.

      Dass das Mittelmeer von nahezu allen großen Historikern als Meer der Zivilisationen dargestellt wird, hat bei der doch überschaubaren Größe, mit der Vielzahl der verflochtenen Kulturen zu tun.

      Das gilt von Fernand Braudel bis Heute.

      So endet David Abulafia Standardwerk DAS MITTELMEER. EINE BIOGRAPHIE:
      "So wurde der Mittelmeerraum zu der Region, in der es zu den weltweit wohl intensivsten Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Gesellschaften kam. Und in der Geschichte der menschlichen Zivilisation spielte das Mittelmeer eine größere Rolle als jedes andere Meer."

  2. Maximilian Rosch
    Maximilian Rosch · vor mehr als 3 Jahre

    Der letzte Teil des von dir zitierten Fazits scheint wahrhaft widersprüchlich. Die Rüstingsfirmen wie auch Frontex schaffen keine nachhaltige Lösung, sondern letztlich mehr Probleme.

    Mir begegnete das Mittelmeer gestern in einem ökologischen Kontext, der sicher nur einen geringen Bezug zu dem gepiqden Beitrag hat, ich fand ihn jedoch so relevant, dass ich ihn kurz erwähnen möchte. Es geht dabei um die Algenplage im Marmarameer, also dem Meer, das zwischen Ägaischem und Schwarzem Meer liegt: https://www.sueddeutsc... Der Text befindet sich hinter der Paywall, deshalb hier der Blendle-Link https://blendle.com/i/... und hier einen frei zugänglichen Beitrag der FAZ https://www.faz.net/ak....

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 3 Jahre

      Danke.

      Und noch einen Link.

      Benjamin Hinrichs schaltete einen multimedialen Beitrag zum Thema bis Freitag Mittag frei:
      https://krautreporter....

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