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Literatur

Gestern & Heute: Ismail Kadare über Diktatur, Angst und Literatur

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMittwoch, 03.07.2024
Der Totalitarismus ist vorbei, die Wunden bleiben: Nicht alle haben sich innerlich befreit. Das weiss Ismail Kadare. Er ist einer der Grossen der Weltliteratur, Kandidat für den Nobelpreis. Und kommt aus einem kleinen Land: Albanien. Dort herrschte bis in die 80er Jahre Totalitarismus pur, eine der brutalsten Diktaturen Europas. 

So kündigte der SRF 2009 ein großartiges Gespräch mit Ismail Kadare an, der nun am 1. Juli 2024 88jährig verstorben ist. 

Den Nobelpreis erhielt er nicht, aber das Interview des Schweizer Publizisten Roger de Weck ist wirklich eine Sternstunde. Es ist erfahrungsgesättigt und, da die Gespenster des 20. Jahrhunderts wieder spuken, aktueller geworden.

Und es bleiben wohl für lange Zeit immergrün Kadares Bücher wie "Der General der toten Armee" oder "Chronik in Stein".

Letztes wäre mein Vorschlag für den Einstieg in das Universium Ismail Kadare.

Ein Dissident war er nicht - sondern ein Schriftsteller, der sich in den Dienst seines Werks stellte, der seine Literatur nicht beschädigen lassen wollte - und sei es um den Preis der allernötigsten und manchmal auch schlauen Zugeständnisse an das erbarmungslose Regime: um zu überleben; um zu schreiben.

Ein Umstand, der den Autor von Weltrang auch zu einem vielfach attackierten Autor von Weltrang macht. Ein Gespräch über Diktatur und Literatur, über die allgegenwärtige Angst und das Gift des Totalitarismus.

Ein späteres, schriftliches Interview von Vjollca Hajdari, das im Jahre 2017 in der WELT erschien, findet man hier: „Der Staat hielt einen Sarg für mich, den Schriftsteller, bereit“.

Es wird deutlich, dass die Rollen selbst in einer Diktatur vielfältiger sind als allgemein im "Westen" angenommen. Und daraus entstehen viele Differenzen, die Europa bis heute spalten.

Auf allen Kontinenten gibt es nun Nachrufe; ein Beispiel für einen frei zugänglichen internationalen Nachruf ist der von Richard Lea aus dem Guardian. Dort gibt es auch eine Auswahl charakteristischer Zitate. Etliche Medien brachten sogar mehrere Beiträge, so auch der Guardian, wo der aus Argentinien stammende kanadische Autor Alberto Manguel seinen albanischen Kollegen Ismail Kadare charakterisiert, der wohl noch lange gelesen und der andere anregen wird.

Auf piqd/forum.eu gibt es nur eine Empfehlung zu Kadare an dessem 80. Geburtstag im Januar 2016; der Autor dieses Würdigungsartikels, Karl-Markus Gauss, publizierte nun in der NZZ einen Nachruf, in dem er das vielgestaltige Romanwerk so charakterisiert:

Die Grenze zwischen Traum, Albtraum und Wirklichkeit, zwischen Magie und Realität ist aufgehoben, die Toten sind nicht nur in den Geschichten, die man sich von ihnen noch nach Generationen erzählt, stetig präsent, sondern mitunter ziehen sie als Geister und Gespenster durch die Gegenwart. Die Familien leben mit ihren längst verstorbenen Vorfahren in einer schrecklichen, unauflöslichen Gemeinschaft zusammen, zwischen verfeindeten Clans schwächt der Hass sich über die Jahrhunderte nicht ab.

Ismail Kadares letzter zu Lebzeiten publizierter Roman "Der Anruf" erscheint in deutscher Übersetzung bei S. Fischer im Januar 2025 und kann schon über yourbook.shop vorbestellt werden.

Gestern & Heute: Ismail Kadare über Diktatur, Angst und Literatur

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