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Europa

100 Jahre ungarisches Autoritarismus-Rätsel: Horthy, Kádár, Orbán

Keno Verseck
Journalist

geb. 1967 in Rostock, freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Mittel- und Südosteuropa.

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Keno VerseckSonntag, 19.04.2020

Viktor Orbáns Ungarn steht derzeit so stark in der Kritik wie schon seit Jahren nicht mehr. Aus triftigem Grund: Es ist das erste Mitgliedsland der EU, das mit seinem "Coronavirus-Notstandsgesetz", von der ungarischen Opposition auch als Ermächtigungsgesetz bezeichnet, die legale Grundlage einer autoritären Herrschaft geschaffen hat. Manche sprechen bereits von Diktatur, ich persönlich bin mit diesem Begriff eher vorsichtig. Fest steht: Orbán regiert bereits seit Langem autoritär, sein Wille ist Gesetz, mitunter auch gegen geltende Gesetze. Dennoch ist es wohl verfrüht, bereits abschließend von der autoritären Orbán-Ordnung zu sprechen. So ist es zwar u. a. wegen der äußerst unfairen Wahlgesetzgebung unwahrscheinlich, aber theoretisch möglich, Orbáns Partei Fidesz in einer Parlamentswahl abzuwählen. Den ungarischen Politologen und Soziologen András Bozóki hat diese Situation nun zu einem überaus interessanten und spannenden politischen Essay angeregt: Er blickt zurück auf die letzten 100 Jahre politischer Herrschaft in Ungarn, die von drei Männern geprägt waren – dem Reichsverweser Miklós Horthy in der Zwischenkriegszeit (1920-1944), dem Generalsekretär der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) János Kádár (1956-1988) und Viktor Orbán (1998-2002 sowie 2010-2020) – und die zusammen siebzig Jahre lang regierten. Horthys Herrschaft war autoritär, die Kádárs diktatorisch. Bozóki fragt sich in einer eingehenden Analyse, in der er die drei Persönlichkeiten und ihre Herrschaftsumstände vergleicht, wie die Chancen dafür stehen, dass Orbáns Herrschaft ebenfalls definitiv in offenen Autoritarismus mündet. Bozóki ist seit Langem ein eher zurückgezogener, in der ungarischen Öffentlichkeit nicht sehr präsenter Wissenschaftler und dennoch nicht irgendwer. Er war in der Wendezeit aktives Fidesz-Mitglied (1988-1993), zeitweise Fidesz-Sprecher, ein bekannter Journalist, später kurzzeitig auch einmal Kulturminister und hat einige für Ungarn bedeutende politische Grundlagenwerke verfasst, darunter mehrere Monographien über die Theorie des Anarchismus und seine ungarische Geschichte. Er ist zweifellos einer der besten Kenner des ungarischen Systemwechsels 1989/90 und des Fidesz. Deshalb halte ich seinen Text für lesens- und sehr bedenkenswert.

100 Jahre ungarisches Autoritarismus-Rätsel: Horthy, Kádár, Orbán

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